Überfall nach Ladenschluß
Rad.
„Doch,
allein, Signore Marano. Locke und Tom sind zwar gleichzeitig und mit ihr
aufgebrochen — das sind Freunde von mir — , aber draußen haben sie sich
getrennt. Das sah ich noch. Sabrina ist in der Küche. Soll ich sie holen?“
Carlo
sagte, das sei nicht nötig.
Wenig
später verschloß er das Kassenbüro, stieg in seinen italienischen
Mittelklassewagen und fuhr in Richtung Stadt.
Die Nacht
brach an. Der Mond wanderte in Richtung Flughafen, hatte aber eben eine Pause
eingelegt und ruhte auf einem mitternachtsblauen Wölkchen — dem einzigen,
soweit man sehen konnte. Dem Wölkchen ging die Luft aus. Es zerfloß. Der Mond
war ihm zu schwer.
Nur wenige
Wagen begegneten Carlo.
Er fuhr
langsam und blickte ständig nach links, ins Gelände. Dort verlief der Radweg.
Den genauen Verlauf kannte er nicht. Er war noch nie dort geradelt. Aber soviel
er wußte, führte der Weg an der Straße entlang. Also mußte er Ginas
Fahrradlampe sehen.
Kein Licht
schimmerte zwischen den Büschen.
Carlo
erreichte die ersten Häuser der Stadt, hielt und wußte nicht, wo er seine
Tochter jetzt suchen sollte. War sie bei anderen Freunden? Oder ins Kino
gegangen? Er ließ ihr mehr Freiheit, als es üblich gewesen wäre — in Italien.
Was voraussetzte, daß er sich auf sie verlassen konnte. Dazu gehörte, daß sie
anrief, wenn sie abends länger bleiben wollte. Ihr war auch verboten, sich zu
später Stunde per Rad auf den Rückweg zu machen. Bei solcher Gelegenheit holte
er sie mit dem Wagen ab.
Vielleicht
läutete jetzt zu Hause das Telefon, dachte er.
Nach kurzem
Zögern fuhr er zurück. Wieder hielt er Ausschau.
Einmal war
ihm, als hätte er — weit entfernt von der Straße — zwischen den Büschen ein
Licht gesehen.
Sofort
hielt er an. Er stieg aus und rief den Namen seiner Tochter. Aber nur der
Nachtwind antwortete ihm — mit seinem Wispern in dichtbelaubten Zweigen.
Hab mich
getäuscht, dachte Carlo und fuhr zurück, um am Telefon zu wachen.
4. Nachts im Klenzburger Moos
Toms
Adresse lag sozusagen am Wege — nachdem sie, satt, aber keineswegs zufrieden
hinsichtlich ihrer Nachforschungen, das TRASTEVERE verlassen hatten.
Sie
rollerten zu der Straße, wo Dr. Helga Conradi — Toms Mutter — ihre
Tierarztpraxis betrieb und auch Tom und Nicki ihr Zuhause hatten: in dem
längeren Trakt des L-förmigen Bungalows.
Als sie
ankamen, stand Gunters Saab vor dem Gartentor.
„Unsere
Elternteile verspäten sich.“ Tom grinste. „Das Theater hat doch längst
angefangen. Oder gibt es da neuerdings eine Nachtvorstellung?“
„Du warst
wohl schon lange nicht mehr im Kulturtempel?“
„Ich ging
ja gern. Aber meine Freundin interessiert sich nur für seichte Unterhaltung wie
Kino und... Au!“
Er rieb
sein Schienbein, wo ihn Lockes Sandale getroffen hatte.
„Mißhandelt
sie dich wieder?“ fragte Gunter von der Haustür her.
Er und
Helga traten ins Freie. Über ihnen brannte die Türlampe. Gunter qualmte seine
Shagpfeife, was zu seinem kantigen Typ paßte. Er trug den gestreiften Anzug aus
der Herren-Boutique, den ihm Helga verordnet hatte, obwohl er lieber — wie er
zu sagen pflegte — mit Hutinhalt glänzte. Damit meinte er Gehirnmasse:
Verstand. Eine Reihe zeitgeschichtlicher Bücher aus seiner Feder — Bücher, die
viel Beachtung gefunden hatten, gestanden ihm Hutgröße 60 zu.
Helga trug
ein weißes Kostüm, Modell ,Sommernachtstraum’. Ihr blondes Haar gleißte im
Lampenlicht, und auf ihren enorm hohen Bleistiftabsätzen war sie fast so groß
wie Gunter.
Sie hakte
ihn ein. Sie kamen zum Tor.
„Na,
Nachwuchs“, sagte Helga und tätschelte Nicki den Kopf. Er war zwar müde, schlug
aber vor Freude mit dem Schweif um sich, daß die Glühwürmchen ausrissen.
Locke
umarmte ihre mütterliche Freundin.
Tom sagte:
„Wir wollen Nicki abliefern. Ich bringe dann Locke noch heim.“
Helga
richtete ihre blauen Augen auf den Sohnemann.
„Aber ich
bitte mir aus, daß ihr die Mafia in Ruhe laßt. Klar? Ja, natürlich hat mir
Gunter erzählt, was euch juckt. Und daß ihr eben italienisch gegessen habt. Ich
hoffe, ihr wart so friedlich wie die Spaghetti auf euren Tellern.“
„Ich hatte
Tintenfisch und Salat“, sagte Locke. „Tom hatte Pizza. Wollt ihr noch ins
Theater? Ich glaube, ihr kommt zu spät.“
„Lenk nicht
ab, Stieftochter!“ Helga unterdrückte ihr Lächeln. „Ihr dürft euch nicht schon
wieder in Gefahr bringen. Euer Tick, überall helfend einzugreifen — und sei’s
unter
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