Überfall nach Ladenschluß
zurück.
„Der Rote,
der echte Rote, schickt der Polizei Briefe“, sagte Tom in diesem Moment. „Wir
wissen das von der Kripo. Elf Briefe sind bisher angekommen. Er verspottet die
Polizei. Demnächst sollen die Briefe in der Presse veröffentlicht werden. Weil
das vielleicht einen Hinweis bringt.“
„Das ist
aber unvorsichtig vom Roten“, sagte Eichhorn. „Die Handschrift könnte ihn
verraten — zumindest als Beweis herhalten, wenn man einen Verdächtigen
aufgreift. Und selbst wenn er eine Schreibmaschine benutzt...“
„Dazu ist
er zu schlau“, fiel ihm Locke ins Wort. „Der Kripo-Beamte sagte uns, daß der
Rote Worte und Silben aus Zeitungen ausschneidet, zum Wortlaut zusammenfügt und
aufklebt. Das kennt man ja.“
Eichhorn
vergaß, den Mund zu schließen. „Moment mal! Wo habe ich denn den Brief?“
Er begann,
wie wild in allen Taschen zu suchen.
Locke fing
Toms Blick auf — einen Blick, der besorgt fragte: Ist dem alten Herrn der Wein
nicht bekommen?
„Um Himmels
willen!“ stöhnte der Studienrat. „Jetzt fällt es mir ein. Der Brief steckt noch
in der leichten Jacke. Und die ist in der Reinigung. Also, nein! Jetzt glaube
ich wirklich, ich werde alt. Und vertrottelt. Bedenklich, bedenklich — was ich
in letzter Zeit alles vergesse.“
„Man kann
mal was vergessen“, tröstete Locke. „Deshalb sind Sie noch lange nicht
vertrottelt. Ist Ihr Brief denn so wichtig? Wohl an einen lieben Freund, ja?“
„Nein,
nein! Den Brief habe ich gefunden. Eure Schilderung von den Spottbriefen des
Roten hat mich daran erinnert. Mein Brief sieht nämlich genau so aus. Die
Adresse besteht aus zusammengefügten Druckbuchstaben, und der Absender fehlt.
Das macht mich jetzt wirklich stutzig. Denn gerichtet ist er ans
Polizei-Präsidium.“
„Wie?“
Lockes Stimme kickste — wie immer bei Aufregung.
„Das bedarf
einer Erläuterung“, rief Tom.
Eichhorn
berichtete, wie, wann und wo er den Brief gefunden hatte und wo er sich jetzt,
vermutlich, befand.
„Wenn der
Portabiti meine Jacke gleich ins Reinigungsbad gehängt hat, ist von dem Brief
nichts mehr übrig“, schloß er.
Tom stand
schon neben dem Tisch. „Aber vielleicht wurde er gefunden — und liegt jetzt in
der Schnellreinigung. Wissen Sie die Telefonnummer, Herr Doktor?“
Eichhorn
wußte sie nicht. Aber das dickleibige Telefonbuch war vorhanden. Das Pärchen
suchte gemeinsam. Locke diktierte dann die Nummer, während Tom wählte.
Natürlich waren die Geschäfte längst geschlossen, doch vielleicht saß Signore
Portabiti beim Abendessen und...
Tatsächlich!
Er meldete sich.
„Renato
Portabiti“, drang die Stimme an Toms Ohr.
„Guten
Abend, Signore! Ich rufe im Auftrag von Dr. Eichhorn an“, sagte er. „Er hat Ihnen
— Sie erinnern sich? — heute vormittag eine Hose und eine Jacke zum Reinigen
gebracht. In der Jacke befand sich ein Brief. Den, um Himmels willen, müssen
wir retten. Es ist nämlich, wie wir soeben rekonstruiert (nachgebildet) haben, ein Brief des Roten. Des berüchtigten Verbrechers. Sicherlich haben Sie
von dem schon gehört. Dr. Eichhorn fand den Brief im Hauptbahnhof. Und jetzt
müssen wir ihn, den Brief, der Polizei übergeben. Für die Ermittlungen ist das
ungeheuer wichtig. Sie verstehen. Bitte, sagen Sie: Ist die Jacke schon im
Reinigungsbad?“
In der
Leitung war nur Stille.
„Hallo!“
sagte Tom. „Sind Sie noch da?“
„Gefunden?“
krächzte der Italiener. „Äh... ich meine, er hat einen gefundenen Brief in der
Jacke... Unmöglich!“
„Doch! Es
ist Tatsache!“
„Un...
unmöglich! Ich meine, daß der Brief in der Jacke war... ist. Denn
selbstverständlich überprüfe ich alle Taschen, bevor ich... Inder Jacke
warnichts. Nur Staub. Nur Krümel.“
„Sind Sie
sicher, Signore?“
„Ganz
sicher. Nichts. Gar nichts.“
„Dann ist
der Brief sicherlich woanders. Entschuldigen Sie die Störung.“ Tom legte auf.
Locke hatte
alles mitgehört. „Vielleicht ist er wirklich vertrottelt“, meinte sie leise,
„und hat den Brief in den Müll geworfen. Hm. Schade! Der Kripo hätte es
geholfen.“
Sie gingen
zum Tisch zurück, wo die andern gespannt warteten.
„Dann weiß
ich nicht, wo er geblieben ist“, meinte Eichhorn, nachdem sie erzählt hatten.
„Ich könnte beschwören, er muß noch in der Jacke sein. Ob ich ihn irgendwo
verloren habe?“
Locke
blickte an ihm vorbei in Richtung Eingang und begann, mit dem Wimpern zu
fächern.
„Tom!“
flüsterte sie. „Carezzo!“
Der
Kassierer
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