Überfall nach Ladenschluß
und schlenderte zu seinem Wagen.
Locke und
Tom folgten den drei andern ins Haus. Bevor Locke die Tür schloß, sah sie, wie
der Straßenkreuzer abfuhr.
„Mich laust
der Affe“ zischelte Tom. Die andern waren schon im Wohnraum. „Ist der zufällig
hier? An solche Zufälle glaube ich nicht!“
Locke
spürte, wie ihr Gesicht glühte. Aufregung siedete in ihr. Sie japste förmlich
nach Luft, denn ein Gedanke war in ihr aufgeblitzt: eine Eingebung wie aus dem
Nürnberger Trichter.
„Tom, weißt
du, was ich glaube! Cordone war absichtlich hier. Er wollte zu Eichhorn.“
„Weshalb?“
„Wegen des
Briefes vom Roten.“
„Von dem
kann er nichts wissen, denn...“Er stockte. „Moment mal! Es sei denn, dieser
Renato Portabiti hätte... Locke, du Goldköpfchen! Ich meine, was deinen
Verstand betrifft! Also, jetzt lausen mich zwei Affen. Portabiti ist Italiener,
vielleicht Sizilianer, vielleicht sogar Angehöriger der Mafia. Und ich
Rhinozeros sabbele ihm die Story vom Brief vor. Portabiti verständigt seinen
Chef, und der macht sich sofort auf die Socken. Denn — wie wir von Benitone
wissen und wie der von Carezzo weiß: Die Mafia betrachtet den Roten als Feind.
Als Todfeind, sogar. Und Cordone denkt sich: Vielleicht komme ich ihm mit dem
Brief auf die Spur.“
„Könnte
meine Rede sein“, sagte Locke. „Aber ist das nun kühne Phantasie, oder wandeln
wir auf den Pfaden der Wirklichkeit?“
Darauf
konnte Tom nicht mehr antworten.
„Wo bleibt
ihr denn?“ rief Dr. Eichhorn aus dem Wohnzimmer. „Wir suchen schon eifrig.“
*
Cordone
wäre am liebsten im Boden versunken. Zu peinlich, daß er den beiden
ausgerechnet hier begegnete. Dann schlafen Sie mal gut! Dieser
unverschämte Bengel! Der glaubte wohl, ein Mafioso schliefe schlechter als
andere Menschen, die ihr gutes Gewissen als sanftes Ruhekissen benutzen.
Mistkerl!
Aber warte
nur! dachte er. Bis der Rattenkönig deine Mama zurichtet. Ein anonymer (namenloser) Anruf wird dich erreichen. Na, Söhnchen, werde ich sagen, wie hat dir das
geschmeckt: der Vorfall mit deiner Mutter? Hast du immer noch Bock auf die
Bürger-Initiative Saubere Stadt? Wenn ja, dann ist als Nächste deine Freundin
dran. Und niemand kann irgendwem etwas nachweisen. Also, vergiß, was du weißt!
Und kein Wort über die Mafia! Sonst kommt keiner von euch mit dem Leben davon.
Das mit deiner Mutter — das war nur eine Warnung.
Cordones
Wut war noch nicht verraucht, als er vor einer Telefonzelle hielt.
Er rief
Leonessa an. Diesmal meldete er sich.
„Mann, wo
steckst du“, knurrte Cordone. „Hab’s schon zigmal versucht.“
„Ich war
unterwegs.“ Leonessas Stimme klang schuldbewußt. Gerade eben hatte er sein
Apartment betreten. Vor ihm auf dem Tisch lag die rote Strumpfmaske. In der
Hand hielt er die 2 000 Mark, die er Benitone abgeknöpft hatte.
„Den
Eichhorn kannst du streichen. Mit dem Roten hat er nichts zu tun.“
„Was? Wieso
nicht? Er muß es sein.“
„Er hat den
Brief nur gefunden.“ Cordone berichtete, was er von Portabiti wußte. „Damit
sind wir, was den Roten betrifft, wieder bei null. Das heißt, du suchst weiter
nach ihm. Und auch Carezzo wird seinen Hintern bewegen. Im übrigen scheint es
da eine Querverbindung zu geben: zwischen diesem Dr. Eichhorn und dem Burschen,
der uns an den Kragen will: Tom Conradi. Und dem Mädchen, natürlich. Aber das
ist wohl zufällig und ohne Bedeutung.“
„Dann kann
ich mich also ins Bett legen.“ Leonessa gähnte.
„Von mir
aus schlaf bis Freitag. Solange unternehmen wir nichts. Freitagnacht reißen wir
die Mietskaserne warm ab und machen wieder ein großes Geschäft.“
Cordone
fuhr nach Hause. Dort erwartete ihn die nächste Überraschung.
Carezzo
stand vor der Tür. Mit Leichenbittermiene berichtete er, daß ihm der Rote
zuvorgekommen sei und das Schutzgeld im Namen der Mafia abgeholt habe — diesmal
in Benitones FATTORIA.
„Wie gut,
Chef, daß das Eichhorns letzter Coup war. Heute nacht endet seine Laufbahn als
Roter, nicht wahr?“
„Einen
Dreck tut sie!“ brüllte Cordone ihn an. „Er ist es nicht. Portabiti hat Mist
gebaut. Und für dich gilt wieder, was war: Finde den Roten! Sonst geht es dir
schlecht.“
*
Was selten
vorkommt: Locke und Tom verbrachten ruhige Tage, denn die Mafia tat so, als
gäbe es sie nicht. Weder Benitone noch die Aianos wurden behelligt. Auch der
Rote rührte sich nicht. Leider blieb sein Brief unauffindbar. Bei Eichhorn
jedenfalls hatten die vier
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