Überfall nach Ladenschluß
der Mafia kam eiligen Schritts. Er durchquerte das Restaurant, ohne
rechts oder links zu blicken, und verschwand durch die Tür, die nach hinten führte.
„Jetzt
verstehe ich fast gar nichts mehr“, sagte Tom.
„War das
der... der Carezzo? Der Kassierer?“ Eichhorn stürzte ein Glas Wein hinunter.
Allmählich überforderten ihn die Ereignisse. Soviel Aufregung war er nicht mehr
gewöhnt — in seinem Pensionärs-Dasein.
„Das war
er“, hauchte Locke. „Was will er hier? Der Kassierer, der Rote, war doch schon
da! Aber Carezzo geht nach hinten, zu Benitone, ins Büro. Die Polizei ist schon
weg. Schade! Wenn man sie braucht, ist sie gerade woanders.“
Sabrina und
Gina duckten sich förmlich. Sie hatten sich auf einen unbeschwerten Abend
gefreut. Die Einladung ehrte sie. Und besonders toll war, daß Eichhorn sie mit
Locke und Tom zusammenbrachte — bei so festlichem Anlaß. Und jetzt dies! Der
Rote! Die Mafia! Immer wieder die Mafia! Carezzo! Die graue Wirklichkeit
verfolgte sie bis in den privatesten Winkel ihrer Freizeit.
„Ist doch
alles seltsam.“ Locke überlegte laut. „Der andere Rote — Schöps, alias Hartmann
— hat vorgegeben, er sei von der Mafia, und versucht, bei deinem Vater“, sie
sah Gina an, „Schutzgeld einzutreiben. Der echte Rote gehört offenbar wirklich
dazu. Aber ich will wissen“, fast hätte sie unterm Tisch mit dem Fuß
aufgestampft, „was dann Carezzo hier sucht!“
„Ich auch.“
Tom trommelte auf die Tischplatte.
Seine
Ungeduld erlebte eine Fünf-Minuten-Probe. Dann tauchte Carezzo im Hintergrund
auf. Auf seinem Gesicht stand ein Fragezeichen — so deutlich wie aufgemalt.
Aber in den Augen glomm Ärger. Er drückte die schwarze Aktentasche an sich und
hastete zum Ausgang.
„Wir sind
gleich wieder da“, meinte Locke.
Sie ließ
sich führen von Tom, der den Weg zum Büro kannte.
Sie
brauchten nicht zu klopfen. Die Tür stand halb offen. Benito Benitone saß am
Schreibtisch. Mit einem Taschentuch wischte er sich Angstschweiß von seinem
Küchenchef-Gesicht.
„Das ist
Nina Rehm“, stellte Tom vor. „Ja, meine Freundin. Wie ich schon sagte, weiß sie
über die Mafia genau soviel wie ich. Eben hat’s mit Carezzo eine
Auseinandersetzung gegeben, nicht wahr?“
Benitone
atmete, als hätte er den Polenta-Vorrat der ganzen Woche gegessen. Doch der
Luftmangel war nervlichseelischen Ursprungs. Er nickte, schickte Blicke zur
Zimmerdecke und trocknete auch seinen Hals ab.
„Madonna,
hilf! Dieses Unglück! Ich werde zerrieben zwischen den Mühlsteinen des Verbrechens.
Die Mafia, der Rote — wem soll ich das Schutzgeld geben? Beide drohen mir mit
dem Tod. Bezahle ich beide, bin ich pleite. Versteht ihr? Ich verdiene mein
Geld nicht leicht. Ich muß knapp kalkulieren, aber das Beste bieten.“
Locke schob
die Brauen zusammen. „Wollen Sie damit sagen: Erst hat der Rote im Namen der
Mafia kassiert — und jetzt wollte Carezzo das Schutzgeld abholen?“
„So ist es.
Als ich Carezzo vom Roten sagte, hat er mich einen Idioten genannt. Der Rote
gehöre nicht zu ihnen. Im Gegenteil. Er sei der Feind. Ein Todfeind. Aber seine
Stunden wären gezählt. Heute nacht noch werde ihn das Schicksal ereilen.“
„Bandenkrieg
in der Unterwelt“, meinte Tom. „Sollen sie! Immer drauf auf die Miesen! Wenn
die sich die Köpfe einhauen, kann sich die Bürger-Initiative Saubere Stadt nur
freuen. Haben Sie etwa zweimal bezahlt, Signore?“
Benitone
schüttelte den Kopf. „Ich sagte, das könnte ich nicht. Das sei troppo caro (zu
teuer). Er will es seinem Chef sagen. Wie wird der entscheiden? Oh, mi
sento male (ich fühle mich nicht wohl ).“
„Der Chef
wird es Ihnen sicherlich erlassen“, Locke polierte ihren Hintergedanken, „und
sich das Geld vom Roten zurückholen. Heute nacht. Eh... Sie kennen den Chef?“
Benitone
war so mit seiner Angst beschäftigt — die beiläufig gestellte Frage hätte ihn
überrumpelt. Aber er schüttelte den Kopf.
„No, nur
Carezzo. Er sagte, mein Freund Emilio Aiano wüßte, daß hinter ihm, hinter
Carezzo, die Mafia steht. Emilio hat mir das bestätigt. Er kennt die Verbrecher
vom Sehen. Weil sie manchmal zu ihm kommen. Die Namen kennt er nicht. Und er
will sie auch gar nicht wissen. So wenig wie ich das hören möchte. Was wir
nicht wissen, können wir nicht verraten. Und was wir nicht verraten, kann uns
nicht das Leben kosten. Wir wissen nur, daß der Kassierer Carezzo heißt. Aber
wer weiß, ob das sein wirklicher Name ist.“
Immer
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