Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
den Bau der Bombe waren Experimentalphysiker und Ingenieure gefragt. Dazu
kamen seine zweifelhaften politischen Neigungen und die Tatsache, dass einige seiner Freunde Kommunisten waren. Vor allem
aber hatte er keinerlei Verwaltungs- und Führungserfahrung. »Er war ein durch und durch unpraktischer Mensch«, berichtete
einer seiner Freunde später. »Er schlurfte mit ausgelatschten Schuhen durch die Gegend, hatte einen komischen Hut auf dem
Kopf und vor allem hatte er keinerlei Ahnung von Geräten.« Ein Ingenieur aus Berkeley brachte es auf den Punkt: »Er hätte
nicht mal eine Würstchenbude führen können.«
Ach ja, und übrigens hatte er an der Universität versucht, seinen Doktorvater umzubringen. Das waren also die Qualifikationen
des Mannes, der sich auf eine Stelle bewarb, die man ohne Übertreibung als eine der wichtigsten Positionen des gesamten 20.
Jahrhunderts bezeichnen könnte. Doch es passierte dasselbe wie 20 Jahre zuvor in Cambridge: Es gelang ihm, den Rest der Welt
von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen.
Noch einmal Bird und Sherwin: »Oppenheimer erkannte, dass Groves über den Zugang zum Manhattan Project entschied, also bot
er seinen ganzen Charme und seine ganze Genialität auf. Es war eine unwiderstehliche Vorstellung.« Groves war hingerissen.
»›Er ist ein Genie‹, erklärte Groves später einem Journalisten gegenüber. ›Ein echtes Genie.‹« Groves hatte am MIT Ingenieurwesen
studiert, und Oppenheimer verstand es geschickt, den General von dieser Seite zu packen. Bird und Sherwin schreiben |91| weiter: »Oppenheimer war der erste Wissenschaftler, den Grove in seinen zahlreichen Auswahlgesprächen kennengelernt hatte,
der verstand, dass der Bau einer Atombombe praktische Lösungen für eine Vielzahl interdisziplinärer Probleme erforderte …
Groves nickte zustimmend, als Oppenheimer ein zentrales Labor vorschlug, das sich ausschließlich diesem Zweck widmete und
›wo wir die chemischen, metallurgischen, technischen und ballistischen Probleme in den Griff bekamen, die bislang überhaupt
noch nicht angesprochen worden waren.‹«
Hätte Oppenheimer sein Stipendium am Reed College verloren? Wäre er außerstande gewesen, seine Kurse vom Vormittag auf den
Nachmittag zu verlegen? Natürlich nicht. Und nicht etwa, weil er intelligenter gewesen wäre als Chris Langan, sondern weil
er die Art von Cleverness und Sozialkompetenz besaß, die es ihm ermöglichte, das zu bekommen, was er wollte.
»Im ersten Semester mussten alle eine Einführung in die Mathematik belegen«, berichtet Langan über seinen kurzen Aufenthalt
an der Montana State University. »Ich hatte das Pech, einen Professor zu bekommen, der den Stoff langweilig und völlig trivial
vermittelt hat. Ich habe nicht kapiert, warum er den Stoff so unterrichtet hat. Also habe ich ihm ein paar Fragen gestellt.
Dazu musste ich ihm erst bis in sein Büro nachlaufen. Ich habe ihn gefragt: ›Warum unterrichten Sie das so? Warum meinen Sie,
dass diese Übung in einer Einführung in die Mathematik etwas bringt?‹ Und dieser Typ, ein langer, dürrer Kerl, der immer mit
Schweiß unter den Armen herumlief, hat sich umgedreht, mich angesehen und zu mir gesagt: ›Sie sollten sich eines klarmachen.
Es gibt Leute, die haben geistig einfach nicht das Zeug zum Mathematiker.‹«
Hier stehen sich also der Professor und das Wunderkind gegenüber, und das Wunderkind hat ganz offensichtlich das Bedürfnis,
sich endlich mit einem Menschen zu unterhalten, der genauso von der Mathematik fasziniert ist wie es selbst. Doch Langan scheitert
kläglich. Das Traurigste ist, dass er zwar mit seinem Professor spricht, dass es ihm aber nicht gelingt, die eine Tatsache
zu kommunizieren, |92| mit der er diesen wirklich für sich einnehmen würde. Der Professor erfährt nie, dass Chris Langan etwas von Mathematik versteht.
3.
Die Fähigkeit, die es jemandem ermöglicht, sich aus einer Mordanklage herauszureden oder von einem Vormittags- in einen Nachmittagskurs
zu wechseln, nennt der Psychologe Robert Sternberg »praktische Intelligenz«. Dazu gehört laut Sternberg unter anderem »zu
wissen, was man zu wem sagt, wann man es sagt, und wie man es vorbringt, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen«. Es geht
also um ein Verfahren und darum, zu wissen, wie man etwas tut, ohne notwendigerweise zu wissen, warum, und ohne es erklären
zu können. Dieses Wissen ist rein praktischer Natur, es ist kein
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