Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
kommunizieren. Viele Gesellschaften bringen ihren Copiloten beispielsweise standardisierte Verfahren
bei, um den Piloten in Frage zu stellen, wenn sie der Ansicht sind, dass etwas ernsthaft schiefgeht. (»Kapitän, ich mache
mir Sorgen wegen …«, dann »Kapitän, mir gefällt nicht, dass …« Reagiert der Kapitän immer noch nicht, sagen sie: »Kapitän,
ich halte diese Situation für gefährlich.« Sollte auch dies nicht fruchten, muss der Erste Offizier die Maschine übernehmen.)
Luftfahrtexperten sind der Ansicht, dass der Erfolg im Kampf gegen die Indirektheit mehr als alles andere zum Rückgang bei
den Flugzeugunglücken beigetragen hat, der in den zurückliegenden Jahren zu verzeichnen ist.
»Bei Emirates bestehen wir zum Beispiel darauf, dass sich der Kapitän und der Erste Offizier mit Vornamen anreden«, erklärt
Ratwatte. »Wir sind der Ansicht, dass das viel bringt. Es fällt schwerer zu sagen: ›Kapitän, Sie machen einen Fehler‹, als
den Vornamen |177| zu verwenden.« Für Ratwatte ist Indirektheit ein ernstes Problem. Man kann sich nicht mit dem Avianca-Absturz beschäftigen,
ohne zu diesem Schluss zu kommen. Er erzählt weiter: »Ich persönlich mache mich oft kleiner. Ich sage zu meinem Copiloten:
›Ich fliege nicht so oft. Nur drei oder vier Mal im Monat. Sie fliegen viel öfter. Wenn Sie sehen, dass ich eine Dummheit
mache, dann liegt das daran, dass ich nicht so oft fliege. Sagen Sie es mir. Helfen Sie mir.‹ Ich hoffe, das hilft ihnen,
ihre Meinung zu sagen.«
8.
Zurück ins Cockpit von Avianca Flug 52. Das Flugzeug dreht nach dem gescheiterten Landeversuch vom Kennedy Airport ab. Klotz
hat gerade mit dem Tower gesprochen, um herauszufinden, wann sie einen weiteren Versuch unternehmen können.
Caviedes: Was hat er gesagt?
Klotz: Ich habe ihn schon informiert, dass wir es noch mal versuchen werden, weil wir jetzt nicht können …
Vier Sekunden Schweigen.
Caviedes: Sagen Sie ihm, dass wir in einer Notlage sind.
Vier weitere Sekunden lang Schweigen. Der Kapitän versucht es erneut.
Caviedes: Haben Sie es ihm gesagt?
Klotz: Ja. Ich habe ihn schon informiert.
Klotz wendet sich an den Tower – und spricht über Routinedetails.
Klotz: Null-fünf-zwo auf 2000 Avianca null-fünf-zwo.
Der Kapitän ist offensichtlich in Panik.
Caviedes: Sagen Sie ihm, dass wir keinen Treibstoff mehr haben!
Klotz spricht erneut mit dem Tower.
|178| Klotz: Wir steigen und halten 3 000. und, äh, wir haben keinen Treibstoff mehr, Sir.
Da war es wieder. Das magische Wort »Notfall«, auf das die Fluglotsen mit geschultem Ohr hören, spricht er gar nicht erst
aus. Nur »wir haben keinen Treibstoff mehr, Sir«, am Ende eines Satzes, der mit einem »äh« beginnt. Wenn wir die Fehler zählen
wollten, wäre die Avianca-Mannschaft inzwischen im zweistelligen Bereich angekommen.
Caviedes: Haben Sie ihn informiert, dass wir keinen Treibstoff mehr haben?
Klotz: Ja, ich habe ihn schon informiert.
Caviedes: Bueno.
Wenn wir nicht an der Schwelle zu einer Katastrophe stünden, würden diese Wortwechsel an einen Sketch des Komikerduos Abbott
und Costello erinnern.
Etwas mehr als eine Minute vergeht.
Tower: Avianca null-fünf-zwo, ich schicke Sie 25 Kilometer nach Nordost und hole Sie dann zum Anflug zurück. Ist das okay?
Reicht Ihr Treibstoff?
Klotz: Ich nehme an. Vielen Dank.
Ich nehme an. Vielen Dank.
Sie sind kurz vor dem Absturz! Eine Stewardess betritt das Cockpit, um herauszufinden, wie schlimm die Situation ist. Der
Bordingenieur zeigt auf die Treibstoffanzeige und macht mit dem Finger eine Geste, als schneide er sich die Kehle durch. 25 Doch er sagt kein Wort. Niemand sagt etwas. Während der nächsten fünf Minuten herrscht Schweigen. Wir hören Funkverkehr und
Routineangaben, dann ruft der Bordingenieur plötzlich: »Motor aus in Triebwerk vier!«
Caviedes ruft: »Zeigt mir die Landebahn!«, doch die ist noch 25 Kilometer entfernt.
Weitere 36 Sekunden vergehen in Schweigen. Der Fluglotse meldet sich ein letztes Mal.
|179| Tower: »Haben Sie, äh, haben Sie genug Treibstoff, um es zum Flughafen zu schaffen?«
Hier endet das Protokoll.
9.
»Wenn man diesen Unfall besser verstehen will, muss man wissen, dass die New Yorker Fluglotsen für ihre Rüpelhaftigkeit und
ihre Schikanen bekannt sind«, erklärt Ratwatte. »Sie sind allerdings auch sehr gut. Sie manövrieren eine phänomenale Menge
von Flugzeugen auf allerengstem Raum. Unter Piloten kursiert die
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