Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
Geschichte von einem Kollegen, der sich nach der Landung
auf den Rollbahnen verfährt. Das ist ganz schnell passiert, wenn Sie unten am Boden sind. Es ist ein Labyrinth. Seine Fluglotsin
reagiert sauer und sagt zu ihm: ›Halten Sie an. Tun Sie nichts. Sprechen Sie nicht mit mir, ehe ich mit Ihnen spreche.‹ Und
sie lässt ihn einfach da stehen. Schließlich nimmt er sein Mikrofon und sagt zu ihr: ›Madam, war ich in einem früheren Leben
mit Ihnen verheiratet?‹
Sie sind unglaublich. Sie meinen: ›Ich hab hier das Sagen. Du bist still und tust, was ich dir sage.‹ Die schnauzen einen
an. Aber wenn einem das nicht passt, dann muss man eben zurückschnauzen. Und dann antworten sie: ›Okay, wie Sie wollen.‹ Aber
wenn man das nicht tut, dann überfahren die einen. Ich erinnere mich an einen Flug der British Airways nach New York. Der
Tower hat den Flug hin- und hergeschoben. Die britischen Piloten sagten über Funk: ›Sie sollten mal nach Heathrow gehen und
lernen, wie man mit Flugzeugen umgeht.‹ So geht es da zu. Wenn man nicht an diese Art Schlagabtausch gewöhnt ist, kann der
New Yorker Tower extrem einschüchternd wirken. Die Jungs von der Avianca waren einfach durch diese ganze Art eingeschüchtert.«
Es ist kaum vorstellbar, dass sich Ratwatte im Tower des Kennedy Airports kein Gehör verschafft – nicht, weil er selbst ein
Rüpel mit |180| einem enormen Ego wäre, sondern weil er die Welt anders sieht. Wenn er im Cockpit Hilfe braucht, weckt er die zweite Mannschaft
auf. Wenn er nicht in Moskau landen will, dann fliegt er eben nach Helsinki. Und wenn er in Helsinki mit dem Wind landen müsste,
dann spricht er mit dem Tower und sorgt dafür, dass er gegen den Wind landet. Als sie an diesem Morgen wieder aus Helsinki
abfliegen wollten, hatte er das Flugzeug an der falschen Startbahn aufgestellt, und sein Erster Offizier machte ihn sofort
auf den Fehler aufmerksam. Ratwatte muss lachen, wenn er daran denkt. »Masa ist Schweizer. Er hat sich sehr gefreut, mich
auf einen Fehler hinzuweisen. Er hat den ganzen Rückweg auf mich eingeschimpft.«
Ratwatte fährt fort: »Die Jungs hätten dem Fluglotsen nur sagen müssen: ›Wir haben nicht mehr genug Treibstoff für das, was
ihr mit uns vorhabt.‹ Sie mussten nur sagen: ›Das geht nicht, wir müssen innerhalb der nächsten zehn Minuten landen.‹ Aber
das haben sie dem Fluglotsen nicht vermitteln können.«
Ratwatte drückte sich offensichtlich sehr vorsichtig aus, denn er deutete eine dieser kulturellen Stereotypen an, die uns
oft unangenehm berühren. Doch das, was in der Avianca-Maschine vorging, war so seltsam, dass es nicht ausreichte zu sagen,
Klotz sei inkompetent und der Kapitän übermüdet gewesen. Im Cockpit ging noch etwas anderes und sehr viel Grundsätzlicheres
vor. Könnte es sein, dass die Herkunft der Piloten etwas mit dem Absturz zu tun hatte? »Amerikanische Piloten würde sich das
jedenfalls nicht gefallen lassen«, meint Ratwatte. »Die würden sagen: ›Hör zu, mein Freund, ich muss landen.‹«
10.
In den Sechziger- und Siebzigerjahren führte der niederländische Psychologe Geert Hofstede im Auftrag der Personalabteilung
der IBM-Europazentrale zahlreiche Forschungsarbeiten durch. Seine Aufgabe bestand darin, rund um den Globus zu reisen und
Menschen zu befragen, wie sie Probleme lösten, wie sie zusammenarbeiteten |181| und wie sie zu Autoritäten standen. Mithilfe seiner ausführlichen und komplexen Fragebögen sammelte er im Laufe der Zeit große
Mengen von Daten über verschiedenste Kulturen und deren Unterschiede. Heute gehören Hofstedes »Kulturdimensionen« zu den am
weitesten verbreiteten Paradigmen der interkulturellen Psychologie.
Hofstede erklärte beispielsweise, man könne Kulturen sehr gut daran unterscheiden, inwieweit sie von ihren Angehörigen erwarten,
sich um sich selbst zu kümmern, und er differenzierte zwischen eher individualistischen und eher kollektivistischen Kulturen.
Das Land mit der am stärksten individualistischen Kultur sind die Vereinigten Staaten. Daher ist es vermutlich kaum verwunderlich,
dass die Vereinigten Staaten als einzige Industrienation der Welt ihren Bürgern keine staatliche Krankenversicherung bieten.
Am anderen Ende der Skala befindet sich Guatemala.
Eine weitere von Hofstedes Kulturdimensionen ist die Risikobereitschaft beziehungsweise die Unsicherheitsvermeidung. Inwieweit
kann eine Kultur mit Ungewissheit leben?
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