Ueberflieger
|100| Er lernte nicht, für seine Ansprüche und Rechte einzutreten. Stattdessen lernte er Misstrauen, Distanz und Gehemmtheit. Das mag unwichtig klingen, doch es war ein lähmendes Hindernis, wenn es darum ging, in der Welt jenseits von Bozeman zu bestehen.
»Ich habe auch kein Stipendium bekommen«, erzählt Mark weiter. »Wir hatten keine Ahnung, weniger als keine Ahnung davon, wie dieser Prozess abläuft. Wie man sich bewirbt. Die Antragsformulare. Die Belege. Das war einfach nicht unsere Welt.«
»Wenn Chris in eine reiche Familie hineingeboren worden wäre, wenn er der Sohn eines Arztes gewesen wäre, der seine Verbindungen hat, dann garantiere ich ihnen, dass er einer von denen wäre, die in der Zeitung stehen, weil sie mit 17 ihren Doktor machen«, meint sein Bruder Jeff. »Es ist die Kultur, die es ausmacht. Chris war einfach immer zu gelangweilt, um sich hinzusetzen und den Lehrern zuzuhören. Wenn jemand bemerkt hätte, wie intelligent er ist, und wenn er aus einer Familie gekommen wäre, die Wert auf Bildung legt, dann hätten die schon zugesehen, dass er sich nicht langweilt.«
5.
Als die Termiten ins Erwachsenenalter kamen, analysierte Terman die Daten von 730 ausgewählten männlichen Teilnehmern und teilte sie in drei Gruppen ein. Die besten 150 – oder 20 Prozent – kamen in die Gruppe A. Hier waren die Erfolgsgeschichten und Stars, die Anwälte, Ärzte, Ingenieure und Akademiker versammelt. In dieser Gruppe hatten 135 einen Hochschulabschluss, und davon wiederum 98 einen Magister oder sogar eine Promotion erworben. Gruppe B bestand aus den mittleren 60 Prozent, den Teilnehmern, die sich »zufriedenstellend« entwickelt hatten. Die untersten 150 kamen in die Gruppe C. Hier fanden sich diejenigen Teilnehmer wieder, die ihre geistigen Kapazitäten nach Ansicht von Terman am schlechtesten genutzt hatten: Postangestellte, hungerleidende Buchhalter und Männer, die zu Hause auf der Couch lagen und überhaupt keiner geregelten Arbeit nachgingen.
|101| Ein Drittel aller Cs waren Studienabbrecher. Ein Viertel hatte lediglich einen High-School-Abschluss, und von den 150 Cs, die durchweg zu einem früheren Zeitpunkt als Genies eingestuft worden waren, hatten ganze acht ein Studium mit Magister oder Promotion abgeschlossen.
Worin unterschieden sich die As von den Cs? Terman zog jede nur denkbare Erklärung heran. Er analysierte ihre körperliche und geistige Gesundheit, ihre »Männlichkeits-Weiblichkeits-Werte«, ihre Hobbys und ihre beruflichen Interessen. Er verglich den Zeitpunkt, zu dem sie zu laufen und sprechen begannen, und überprüfte ihre Intelligenzquotienten in Grundschule und High School. Letztlich zählte jedoch nur ein einziger Faktor: ihre gesellschaftliche Herkunft.
Die As kamen überwiegend aus der Mittel- und Oberschicht. Bei ihnen zu Hause standen Regale voller Bücher. Die Hälfte ihrer Väter hatte einen Hochschulabschluss, und das zu einer Zeit, als ein Studium eine Seltenheit war. Die Cs kamen dagegen vom anderen Ende der gesellschaftlichen Leiter. In mindestens einem Drittel der Fälle hatte ein Elternteil nicht einmal einen Schulabschluss.
Terman schickte seine Mitarbeiter zu den Teilnehmern, die er in die Gruppen A und C eingeordnet hatte, um deren Persönlichkeiten bewerten zu lassen. Die Ergebnisse entsprechen dem, was man erwarten kann, wenn man Kinder aus einem Umfeld der konzertierten Kultivierung mit Kindern aus einem Umfeld des natürlichen Wachstums vergleicht. Die As waren wacher, ausgeglichener, attraktiver und besser gekleidet. Die Unterschiede in diesen vier Punkten waren derart ausgeprägt, dass man meinen könnte, es handele sich um zwei unterschiedliche Spezies Mensch. Das ist natürlich nicht der Fall. Was wir hier beobachten, sind lediglich die Unterschiede zwischen Menschen, die von ihren Eltern gelernt haben, der Welt ihr bestes Gesicht zu zeigen, und anderen, die dies nicht gelernt haben.
Termans Ergebnisse sind zutiefst bedrückend. Vergessen wir nicht, wie talentiert die Gruppe C war. Wer sie im Alter von fünf |102| oder sechs Jahren kennenlernte, war von ihrer Neugierde, ihrer geistigen Beweglichkeit und ihrer Brillanz überwältigt. Es waren Überflieger. Termans Untersuchungen belegen jedoch, dass sich am Ende kaum ein Kind aus den gesellschaftlich und wirtschaftlich untersten Gesellschaftsschichten einen Namen machen konnte.
Was fehlte den Cs? Was ihnen fehlte, war weder teuer noch unmöglich zu finden, es hatte nichts mit den Genen oder den
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