Ueberflieger
jetzt schon zwei Mal angebaggert.«
Jill verschwand wieder in der Menge, und Steve nahm sich vor, Larry im Auge zu behalten. Und tatsächlich, keine fünf Minuten später nahm Larry Jill in die Arme und versuchte, sie zu küssen.
Stellen Sie sich mit größerer Wahrscheinlichkeit vor, dass Steve seinem Gegenspieler eine Abreibung verpasst, wenn Sie gerade eben beleidigt wurden?
Die Ergebnisse waren eindeutig. Es ergaben sich zwei Gruppen von jungen Männern, die ganz klar unterschiedlich auf die Beleidigung reagierten. Bei den einen wirkte sich das Wort »Arschloch« auf das Verhalten aus, bei den anderen nicht. Dieser Unterschied hatte nichts damit zu tun, ob der betreffende junge Mann emotional reif oder unreif, ob er ein Intellektueller oder ein Sportler war oder ob er einen durchtrainierten Körper hatte oder nicht. Der einzige Unterschied war – Sie ahnen es vielleicht schon – ihre Herkunftsregion. Die jungen Männer aus dem Norden der Vereinigten Staaten reagierten überwiegend amüsiert und lachten über den Vorfall. Ihr Händedruck blieb unverändert. Ihr Cortisolniveau sank sogar, so als wollten sie unbewusst ihren Ärger abbauen. Nur wenige stellten sich vor, dass Steve handgreiflich wurde.
|156| Und die Südstaatler? Du liebe Zeit, waren die sauer. Ihre Cortisol- und Testosteronspiegel schossen regelrecht in die Höhe. Ihr Händedruck war fest. Und Steve ließ seinen Ärger ordentlich an Larry aus.
»Wir haben das Spiel noch ein Stückchen weiter getrieben«, erzählt Cohen. »Wir haben die Studenten noch einmal den Gang runtergeschickt, und es kommt ein anderer unserer Mitarbeiter um die Ecke. Der Gang ist blockiert, nur einer kommt durch. Unser Mann ist 1,85 Meter groß und wiegt 120 Kilo, er ist ein ehemaliger Footballspieler, der jetzt als Rausschmeißer in einer Studentenkneipe arbeitet. Er kommt den Gang runter, als will er auf der anderen Seite der Bar eine Schlägerei beenden. Die Frage war: Wie dicht gehen sie an den Rausschmeißer heran, bevor sie Platz machen? Und glauben Sie mir, Platz haben sie alle gemacht.«
Bei den Studenten aus dem Norden ergab sich kaum ein Unterschied zwischen den Beleidigten und den Nichtbeleidigten. Die Südstaatler waren unter normalen Umständen geradezu überhöflich und traten beiseite, wenn der Abstand noch mehr als drei Meter betrug. Und wenn sie beleidigt wurden? Dann ließen sie den Rausschmeißer bis auf einen halben Meter herankommen. Wird ein Südstaatler beleidigt, dann geht ihm das Messer in der Tasche auf. Im langen Korridor ihres Instituts erlebten Cohen und Nisbett die Kultur der Ehre in Aktion: Die Südstaatler reagierten wie Wix Howard, der gerade von Little Bob Turner beim Poker als Betrüger bezeichnet wurde.
6.
Kommt Ihnen diese Untersuchung nicht auch merkwürdig vor? Es ist eine Sache, wenn man feststellt, dass sich Menschen, die in ähnlichen Umständen leben wie ihre Vorfahren, auch ähnlich verhalten wie diese. Doch die Studenten in der eben beschriebenen Untersuchung leben nicht mehr in denselben Verhältnissen wie ihre schottischen und irischen Vorfahren. Möglicherweise kommen |157| ihre Vorfahren nicht einmal von den britischen Inseln. Sie sind nur zufällig alle im Süden der Vereinigten Staaten aufgewachsen. Keiner der Studenten war Hirte, genauso wenig wie die Eltern. Sie lebten Ende des 20. und nicht Ende des 19. Jahrhunderts. Sie waren Studenten der University of Michigan und studierten damit in einem der nördlichsten Bundesstaaten der USA. Das bedeutet, dass sie ausreichend weltoffen sein mussten, um Hunderte Kilometer von ihrer Heimat entfernt zu studieren. Aber das alles spielte keine Rolle.
Sie verhielten sich noch immer so, als lebten sie
im Harlan des 19. Jahrhunderts.
»Die Teilnehmer an dieser Untersuchung kommen durchweg aus Familien mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 100 000 Dollar«, erklärt Cohen. »Die Südstaatler, die so reagiert haben, sind keine Hinterwäldler. Sie sind vermutlich eher Kinder von Führungskräften aus der Coca-Cola-Zentrale in Atlanta. Und das ist die große Frage: Warum reagieren sie so? Warum sind sie noch Hunderte Jahre später betroffen? Warum verhalten sich diese Jungs aus den Vororten von Atlanta nach dem Ehrenkodex der Pioniere?« 21
Unser kulturelles Erbe ist eine mächtige Kraft. Es ist tief verwurzelt und äußerst langlebig. Über Generationen hinweg überlebt es nahezu unverändert, selbst wenn die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen |158| und demografischen
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