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Ueberflieger

Titel: Ueberflieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Plantagenbesitzer, der offen mit einer Sklavin zusammengelebt hätte, wäre aus der Gemeinschaft verstoßen worden, der Nachwuchs wäre automatisch in die Sklaverei gekommen.
    In Jamaika herrschte eine andere Einstellung vor. Die Karibik war zur damaligen Zeit kaum mehr als eine riesige Kolonie afrikanischer Sklaven, hier lebten ungefähr zehn Mal so viele Schwarze wie Weiße. Heiratsfähige weiße Frauen waren rar, weshalb die meisten weißen Männer auf der Insel eine Geliebte mit schwarzer oder brauner Hautfarbe hatten. Ein britischer Plantagenbesitzer auf Jamaika, der genauestens über seine sexuellen Abenteuer Buch führte, schlief in seinen 37 Jahren auf der Insel mit 138 Frauen, von denen die meisten Sklavinnen und vermutlich nicht unbedingt willige Partnerinnen waren. In den Mulatten – den Kindern aus diesen Beziehungen – sahen die Weißen mögliche Verbündete und einen Puffer zwischen sich und der enormen Zahl der Sklaven auf der Insel. Mulattinnen galten als Prinzessinnen, und ihre Kinder, die wiederum eine Schattierung heller waren, standen auf der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leiter noch eine Stufe weiter oben. Nur in den seltensten Fällen arbeiteten Mulatten auf |244| den Feldern, sie waren stattdessen überwiegend im Haus tätig, hatten ein sehr viel angenehmeres Leben und wurden mit größerer Wahrscheinlichkeit freigelassen. Viele »Mulattenprinzessinnen« erbten große Vermögen von weißen Grundbesitzern, sodass sich die Kolonialregierung irgendwann genötigt sah, die Erbsumme auf 2 000 Pfund Sterling zu beschränken, was damals allerdings immer noch eine gewaltige Summe war.
    »Wenn ein Europäer auf den Westindischen Inseln ankommt und sich dort für eine Weile niederlässt, erkennt er bald die Notwendigkeit, sich eine Haushälterin oder Geliebte zu nehmen«, schrieb ein Beobachter im 18. Jahrhundert. »Er hat reichliche Auswahl zwischen Schwarzen, Braunen, Mulattinnen oder Mestizinnen, die er für 100 bis 150 Pfund Sterling erwerben kann. Kommt farbiger Nachwuchs zur Welt, wird dieser für frei erklärt und von den Vätern, die es sich leisten können, im Alter von drei oder vier Jahren nach England zur Schule geschickt.«
    In diese Welt wurde Daisys Großvater John hineingeboren. Vom Sklavenschiff trennte ihn nur eine Generation, und er lebte in einem Land, das sich am besten als afrikanische Strafkolonie beschreiben lässt; doch er war ein freier Mann und erhielt eine Schulbildung. Er heiratete eine Mulattin, deren Vater Europäer und deren Mutter eine jamaikanische Ureinwohnerin vom Stamm der Arawak war. Zusammen hatten sie sieben Kinder.
    »Diese Leute, die Farbigen, hatten einen hohen Status«, erklärt der jamaikanische Soziologe Orlando Patterson. »Im Jahr 1826 erhielten sie sämtliche bürgerlichen Rechte, zur gleichen Zeit wie die Juden auf Jamaika. Sie durften wählen. Sie hatten die gleichen Rechte wie die Weißen, und das innerhalb einer Gesellschaft, die nach wie vor eine Sklavengesellschaft war. Viele waren Handwerker. Denken Sie daran, dass Jamaika Zuckerplantagen hat, die sich erheblich von den Baumwollplantagen im Süden der Vereinigten Staaten unterscheiden. Baumwollanbau war in erster Linie eine landwirtschaftliche Tätigkeit. Das Zeug wurde gepflückt und zur Verarbeitung nach Lancashire in England oder in den Norden der |245| Vereinigten Staaten gebracht. Zucker ist dagegen ein agro-industrieller Komplex. Die Fabrik muss an Ort und Stelle sein, weil das Zuckerrohr innerhalb weniger Stunden nach der Ernte an Zucker verliert. Die Raffinerie muss sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden, und in dieser Fabrik sind eine Menge Berufe gefragt. Es wurden Küfer, Kesselmacher oder Schreiner gebraucht, und viele davon waren Farbige.«
    Dazu kam, dass die englische Elite auf Jamaika, anders als die Weißen in den Vereinigten Staaten, nicht an einem großen nationalen Projekt interessiert war. Sie wollte Geld verdienen und nach England zurückkehren. Sie hatten wenig Interesse daran, sich in einem Land niederzulassen, das ihr feindlich vorkam. Also fiel den Farbigen die Aufgabe zu, die neue jamaikanische Gesellschaft aufzubauen, und damit eröffneten sich ihnen neue Chancen.
    »Um 1850 war der Bürgermeister von Kingston [der Hauptstadt Jamaikas] ein Farbiger«, erzählt Patterson weiter. »Genau wie der Gründer des
Daily Gleaner
[der größten Tageszeitung des Landes]. Das waren alles Farbige, die von einem frühen Zeitpunkt an die gebildete Schicht des Landes

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