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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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sank auf einen Holzklotz. Erst nach einer Weile hob er den Kopf und blickte Clarenbach an. »Ich verstehe dich gut, doch um laut zu kämpfen, fühle ich mich schon zu alt und zu schwach, aber ich diene unserer Sache, so gut ich kann. Wenn ein Student wirklich hört, was ich in meinen Vorlesungen sage, dann muss er begreifen, dass ich mit den Missständen im Staat, in der Kirche nicht einverstanden bin. Und kommt ein Student zu mir und will mehr wissen, dann verschließe ich mich nicht.«
    Mit raschen Schritten eilte Clarenbach zu ihm, kniete sich und umarmte den älteren Freund. »Verzeih meine Heftigkeit. Verzeih.«
    Stumm, mit bewegten Mienen, hatten die anderen der Auseinandersetzung zugehört.
    Arnoldus schob Clarenbach sanft zur Seite und wandte sich an seinen Studenten. »Die Strafgulden werde ich dir nicht erlassen können. Ich möchte den äußeren Schein erhalten. Aber ich biete dir einen neuen Lehrstoff an.«
    Arnoldus reichte ihm die Hand, zaghaft ergriff sie Johann. »In der Burse haben dich diese unwürdigen Burschen gedemütigt, weil sie glauben, ihr Geld gäbe ihnen das Recht dazu. Kämpfe gegen sie an. Auch jeder wahre Christ muss sich durch die Verkommenheit unserer Kirche gedemütigt fühlen, tiefer noch, als deine Schmach dich heute verletzt hat. Wenn du die Gedanken Luthers kennen lernen möchtest, frage mich.« Er lächelte. »Längst nicht alle Bücher sind heute in den Flammen verbrannt.«
    Zu Clarenbach sprach er weiter: »Ich schlage vor, dass er jetzt in die Burse zurückgeht. Wenn er sich für uns entscheidet, werde ich ihn einweihen und ihm helfen, wo ich nur kann.«
    Clarenbach und die Übrigen waren einverstanden. Erleichtert lachte der Bäcker in die Runde. »Und wenn er ein süßes Brot möchte, dann bekommt er es in meinem Laden.«
    Leichtigkeit lebte auf, Gespräche begannen, und sie hockten sich wieder um die Glut.
    »Ich bringe dich nach draußen.« Clarenbach ging schon voraus. Verwirrt nickte Johann den Männern zu und folgte ihm.
    Draußen auf dem Hof blieb Clarenbach stehen, suchte Johanns Hand und legte ihm drei Bücher hinein. »Ich schenke sie dir. Als ich sie heute rettete, wusste ich nicht, für wen sie bestimmt waren.«
    Aber ich will sie nicht. Nur ein schwacher Widerstand.
    »Du kennst mich doch gar nicht«, stammelte Johann.
    »Nimm sie. Das Lesen ist ein Anfang.«
    Johann rannte, stolperte, floh bis zur Schmierstraße. Vor dem nächtlichen Treiben zuckte er zurück, mit einem Mal wogen die dünnen Bücher so schwer, dass er sie mit beiden Händen halten musste. »Wenn sie jemand bei mir findet, dann bin ich ein Ketzer!«
    Er kehrte um, hetzte durch die dunkle Gasse, irrte zwischen Hinterhöfen und Zäunen hin und her, aufgeschreckte Kettenhunde kläfften ihn an, schließlich fand er den Weg zur Burse zurück. Die Haupttür war noch nicht verschlossen, niemand hielt ihn auf, und schwer atmend erreichte er seine Kammer. Vor dem Bett fiel er auf die Knie, schlug die Wolldecke zurück, riss den heugestopften Leinensack aus der Holzumrandung und versteckte die Schriften in den Ritzen der Bodenbretter. Die Matratze, sorgfältig die Decke.
    Johann kauerte sich auf das Fußende. In ihm schrien Stimmen gleichzeitig, er presste die Hände gegen die Ohren, die Stimmen wurden lauter. Erst summte Johann, dann sang er, heftig wiegte er den Körper gegen den Takt seiner Unruhe, vergeblich, die Gedanken ließen sich nicht betäuben, blieben die ganze Nacht.

N eben dem Fahrweg pflanze ich den Jakobstab, verschiebe das Querholz. Es gelingt nicht mehr, Höhe und Entfernung des Throns zu bestimmen. Das Beben erschüttert die Macht.
    Ich wende mich zurück. Jupiter und Saturn verbinden sich im Zeichen des Skorpion. Gebar Margarete in dieser Stunde den neuen Propheten oder einen Dämon?
    Blut sickert in den Mai 1525!
    Meine Augen schmerzen. Am Horizont gleiten die vergangenen fünf Jahre ineinander, wachsen zu einem dunklen Wolkenkeil: Noch hält der römische Stellvertreter das gewaltige Netz in der Hand. Beherrsche das Fühlen, befiehl das Denken, und dein Tisch bleibt gedeckt. »Besser ist Ruhe denn Unruhe.« So war es gut, von Jahrhundert zu Jahrhundert.
    »Doch nützer ist Unruhe denn Ruhe!« Aus der Mitte schrie der lang gehegte Zorn und zerriss die brüchigen Maschen.
    Den Jakobstab lege ich neben Messscheibe, Rute, Winkel und Papierrollen auf die Ladefläche des Wagens. Um meine Karte zu zeichnen, den Plan aufzureißen, muss ich wissen, welches Licht in den neuen Augen brennt.

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