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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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die alte Wagnerei zu den Ketzern?«, reizte die Stimme in Wendels Rücken. »Kann nicht lesen und schreiben und lässt sich von dem Lutherpack den Schwanz eindrehen.«
    Mit beiden Fäusten umklammerte der Bauer den Holzschaft. »Wer sagt das? Komm her und sag es mir ins Gesicht.« Er stampfte an Wendel vorbei, die Hacke über den Kopf gerissen.
    »Ich hab nichts gemeint.« Klein war die Stimme geworden. »Mein ja nur das Weib von dem Kaplan.«
    »Du Hundearsch. Nichts geht es dich an.« Ein Sieg ohne Schlag, der Bauer kehrte auf seinen Platz zurück: »Kümmer dich um deine Alte«, und legte die Hacke wieder auf die Schulter.
    Die drei schwiegen, bis die großen Querbalken entfernt wurden und die Torflügel aufgezogen waren.
    »Danke, Bruder«, murmelte Wendel und eilte an dem Bauern vorbei. Kein freundliches Wort von den Wachposten, sie blickten zur Seite, ein Kopfnicken, mehr nicht.
    Die Stadtwiesen rechts und links des Fahrwegs lagen noch nass vom langen Hochwasser, über dem Braun schimmerte der erste grüne Hauch. Wendel hielt sich auf der Mitte der Straße, die Wagenfurchen waren Schlammrinnen, selbst auf dem Kamm sanken ihre Füße bei jedem Schritt tief in den zähen Lehm. Wendel hatte Eile, keuchte, die Hast nahm ihr schnell den Atem, und sie presste die Hände an die Seiten, heftige Stiche zogen bis in ihren Leib. Auf dem Rücken könnte ich dich leichter tragen, mein Kind.
    Der Winter war vorbei. Ein schöner Winter, dachte Wendel. Kein Schnee war gefallen, kaum Frost, nur Regen und krankes Wetter. Eine gute Zeit, seufzte sie voller Wehmut. Schon im November war in Wesel die Pest ausgebrochen. Von Gott für uns geschickt, für Johann, für die Liebe und vor allem für Adolph. Der Weseler Rat kämpfte mit der Seuche, die Mönche blieben aus Angst vor der Krankheit in Dorsten und hetzten nur in Briefen bei dem Offizial in Xanten gegen die Verschwörer, der schickte Anfragen nach Büderich, und dort blieben sie unbeantwortet, Briefe bewirken nichts, wenn die Pest in der Nähe nistet. Sorgsam hütete sich Büderich.
    Zeit für den Frieden und das Wachsen. Wendel kam nur langsam voran, wie Pech klebte der Lehm an ihren Schuhen. Trotz des Zeterns der Mutter hatte sie die Gesellen fortgeschickt, 20 Gulden Erbrente sollten für das Tägliche genug sein, und die Wagnerei war zum Ort der Brüder und Schwestern geworden. Adolph und Johann luden die wenigen der Gemeinde, die mehr von Gottes Wort hören wollten, in die Werkstatt ein. Erst waren es nur sechs Mutige, im Januar saßen schon zehn bei Kerzenschein im Kreis, und seit dem vergangenen Monat, kaum war der Pestvogel wieder davongeflogen, kamen aus Wesel, Duisburg, sogar aus Köln die Freunde nach Büderich, begierig, gemeinsam die Worte des Paulus zu lesen, sie übernachteten in der Scheune, kamen und gingen, brachten neue Freunde mit. Geschützt und ohne Angst war Wendel in den Kreis hineingegangen, die Liebe hatte geholfen, das Alte abzulegen, so leicht waren die Monate vergangen.
    Dann, an einem Abend, warteten Adolph und Johann vergeblich. Die Werkstatt blieb auch an den folgenden Abenden leer, noch nicht einmal die Brüder und Schwestern aus Büderich wagten, im Schutz der Dunkelheit zu dem Hausgottesdienst zu kommen.
    Von Dorsten schwärmten die Observanten wieder aus, wohl ausgeruht zum Hass, legten sie ihre Fallen und lauerten. Der Winter war vorbei.
    Heute ging er endgültig zu Ende. Vor dem Haus des Fährmanns setzte sich Wendel auf den Rumpf eines umgestülpten Ruderbootes, stellte die Füße voneinander und strich behutsam den Rock über ihrem Leib. Sie wartete, bis der Atem ruhiger wurde.
    Sie musste nicht rufen. Der Fährmann hatte sie gleich entdeckt und das Haus verlassen. Jetzt stand er neben ihr und starrte auf den Fluss. »Bist du krank?« Das unveränderliche Gesicht.
    »Nein, Reinhold. Es ist nur das Kind.«
    »Von dem Wirrkopf, der gestern mit der Fähre rüber ist?«
    »Ja.«
    »Der ist euer Priester.« Seine Stimme blieb gleich.
    »Und mein Mann.«
    »So eine Zeit. Da heiraten die Priester.«
    Wendel schüttelte den Kopf. »Du weißt es längst, Reinhold. Ich hab ihn, ohne Trauung.«
    »So eine Zeit.« Er spuckte in die Hand und glättete sein Haar. »Geht mich auch nichts an.« Prüfend sah er Wendel ins Gesicht und nickte. »Verlauf dich nicht, Mädchen.«
    Wieder schüttelte Wendel den Kopf.
    »Also gut.« Er zeigte mit dem Daumen zum Fährhaus. »Warum nimmt er den Jungen mit, der ist kaum vierzehn Jahre? Die ganze Nacht haben sie in

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