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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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kleine Mäuse, Käfer, einen Grasfrosch. Wendel zählte stumm. Neun Tiere wie an Fleischerhaken. Die Leute sagen, dass er erst neunmal tötet, bevor er selbst etwas frisst.
    »Du musst es tun.« Ruhig betrachtete Wendel die Schlachtbank. »Seit ich mein Kind habe, kann ich dich verstehen«, murmelte sie und kehrte zu ihrem Platz zurück. Wenn es regnet, fliegen keine Mücken, keine Falter, er muss doch eine Vorratskammer anlegen, womit soll er sonst die Jungen füttern?
    »Wendel?«
    Sie lächelte Johann entgegen, lud ihn ein, er wollte sich nicht setzen, stand nur, verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und starrte vor sich hin. Wendel schwieg, und ohne Frage antwortete Johann endlich. »Auf der Universität haben mich die Studenten erniedrigt, dass ich sterben wollte. Doch ich kämpfte, nie wieder sollte mich ein Mensch demütigen können. Durch Adolph lernte ich die Wahrheit kennen, im reinen Wort des Evangeliums fand ich meine Kraft, gegen Unrecht und die schändliche Kirche anzugehen. Wie Adolph, wie Luther, wie Zwingli, wie sie wollte ich sein, furchtlos und standhaft.« Er schlug die Fäuste an seine Schläfen. »Nur ein Verhör, nur der Anblick des Henkers genügt, und ich verrate alles, woran ich glaube, und übrig bleiben meine Ohnmacht und die verfluchte Scham.« Geschlagen warf er sich neben Wendel ins Gras, weinte nicht, starrte den Himmel an.
    »Du hast dein Leben für unsere Tochter gerettet, auch für mich. Du warst stark.«
    »Ich habe die Lehre verraten.«
    »Johann!« Wendel beugte sich über ihn, bis ihre Augen seinen Blick trafen. »Solange dein Glaube fest ist, kannst du nur mit dem Mund widerrufen. Dein Herz hat nichts verraten. Du hast Mut gezeigt.«
    Wie erwacht stützte er sich auf. »Vielleicht.« Das zaghafte Licht erlosch wieder. »Nein, nein. Adolph wird es nicht verstehen. Selbst die Brüder in der Gemeinde verachten mich.«
    Heftig griff Wendel in seinen Haarschopf, zog ihn näher. »Du willst in deinen eigenen Vorwürfen ertrinken!« Sie ließ ihn los und umschlang ihre Knie. »Ich bin nicht belesen, in der Schrift weiß ich nur wenig Bescheid. Doch ich glaube fest, dass Er dort oben für uns da ist. Er wollte nicht, dass du dich opferst. Gott kann das einfach nicht verlangen, wenn er uns liebt. Johann, du musst predigen, dafür musst du leben.« Nach einer Weile fuhr sie leise fort. »Und wenn sie dich ermordet hätten? Nur ich, deine Tochter und einige Freunde hätten dich vermisst.«
    Aufgerichtet saß Johann neben ihr, durstig hatte er jedes Wort getrunken, er schloss die linke Hand, öffnete die Faust und besah die Handfläche. »Vielleicht hast du Recht.«
    Endlich, dachte Wendel, sagte nichts, sah ihn voll Hoffnung an.
    »Doch der Apostel schreibt, dass man vor den Menschen nicht schwören soll.«
    Zornig sprang Wendel auf. »Woher weißt du so genau, was er damit gemeint hat?« Sie ertrug es nicht, trat mit dem Fuß gegen die Blumen, Köpfe knickten, dann lief sie an den Dornensträuchern entlang, blieb abrupt stehen und wandte sich um. »Komm her, Johann!«, befahl sie und wartete ungeduldig. »Ihr habt uns vorgelesen, dass die Vögel nicht säen, nicht ernten und Gott sie doch ernährt.« Johann nickte. Wortlos zog ihn Wendel zu dem Schlehdorn und zeigte ihm die aufgespießten Opfer. »Der Neuntöter sorgt sich um den nächsten Tag, weil er seine Jungen nicht verhungern lassen will.« Ihre Stimme blieb triumphlos. »Ich werde es für mein Kind genauso machen!« Damit stürmte sie zu den Haselsträuchern, tauchte ein, auf dem Weg wollte sie laufen, doch die Schwäche erlaubte keine Eile.
    Bald hatte Johann sie eingeholt, ging schweigend neben ihr, Wendel hielt den Blick fest auf das Feldtor gerichtet, nur aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihn. Sein Gesicht lebte, als hätte er die qualvolle Miene abgestreift und die Larve am Schlehbusch zurückgelassen.
    Keine Nahrung für die Jungen, überlegte Wendel und schmunzelte.
    Johann nahm ihr Lächeln auf. »Du solltest predigen, nicht ich.«
    Nicht die Worte, der leichte Klang seiner Stimme durchstießen den Damm der vergangenen Wochen. Mit einem raschen Schritt versperrte ihm Wendel den Weg, umschlang Johann und ließ sich von ihm halten. »Unsere Tochter ist ein schönes Kind«, flüsterte sie, erst später erinnerte sie sich und schob ihn sanft zurück. »Predige du vor deiner Gemeinde. Ich allein werde meine Kinder im wahren Glauben erziehen.« Sie drohte ihm. »So, wie ich die Schrift verstehe. Bei Lisel fange ich

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