Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
Peggy zwei, drei Halbliterhumpen Affenbier, Weizen mit Bananensaft, fruchtig und herb.
»Na, Jungs, wieder fleißig gewesen?«, lacht die kleine tätowierte Schwarzhaarige, während sie die Gläser auf den Tisch stellt, und Martin spannt halb im Scherz den Bizeps an. Nur halb im Scherz, denn er glaubt wirklich, dass sich was getan hat.
In Wirklichkeit hat sich natürlich gar nichts getan. Den 500 Kalorien, die Martin im Optimalfall im Studio verbrennt, stehen 1500 Kalorien in der Bar gegenüber, wenn Bernd um 22 Uhr »Ach komm, was soll’s, wir waren doch fleißig« sagt und zum dritten Affenbier noch einen Korb Kartoffelecken mit Sauerrahm bestellt. Einen Korb, kein Körbchen. Peggy lässt »Eye Of The Tiger« aus den Boxen dröhnen, als sie den Korb an den Tisch bringt.
Ein paar Wochen später sagt Martin, was kein Mann unbedacht zu seinen Trainingskumpels sagen sollte: »Geht schon mal vor. Ich komm gleich nach.«
Die Freunde denken sich nicht viel dabei. Sie denken ohnehin wenig, wenn das Affenbier kurz bevorsteht.
Martin atmet durch und steigt auf das Laufband direkt neben der blonden Lara Croft, die schon angefangen hat. Er wird mitlaufen, bis zum Schluss, ihr zwischendrin ein Lächeln zuwerfen und sie dann ansprechen.
Das ist der Plan.
Er hat dafür trainiert, heimlich, jeden Tag war er hier, ohne das Wissen der Freunde, er schafft schon vierzig Minuten.
Das Band startet, und sie wirft ihm einen kurzen Blick zu. Mandelbraune Augen, freundlich und feurig zugleich, ein bisschen distanziert und funkelnd vor Charakter. Sie kann nichts von den hohlen Vin Diesels wollen. Sie hat den Körper einer Freeclimberin und die Aura einer Frau mit Format. Direkt unter ihren Brüsten ist der schwarze Brustgurt angelegt, der am Solarplexus den Pulsschlag misst. Auf den Gurt ist Martin neidischer als auf den stärksten Mann der Welt.
Nach zehn Minuten ist Martin warmgelaufen und gelassen.
Nach zwanzig Minuten hat er die perfekten Worte für gleich gesammelt.
Nach dreißig Minuten hat er die Worte in eine Reihenfolge sortiert.
Nach vierzig Minuten zügelt er sein Herzklopfen, da es gleich losgeht und er sie ansprechen wird. Außerdem rast sein Herz, da er am Limit ist.
Nach fünfundvierzig Minuten zählt er die Sekunden und ist froh um jede, die er überlebt. Er hat ja einen guten Grund dafür.
Nach einer Stunde drückt Lara Croft auf den Knopf für die Laufzeitverlängerung.
Martin reckt sich hechelnd, um einen Blick auf das Display ihres Laufbands zu werfen. Die digitalen Zahlen zeigen wieder 60:00 an.
Das Ganze noch mal.
Nach zehn Minuten drückt Martin auf seinem Band den Aus-Schalter, als sie nicht hinsieht, tut so, als hätte er nie etwas anderes vorgehabt, verlässt so gefasst wie möglich den Gerätesaal … und rennt, kaum um die Ecke, zum Klo, um sich zu übergeben.
Merke ➙ Steige nicht neben Lara Croft aufs Band, wenn du selbst nicht mindestens die Strecke Flensburg–Garmisch-Partenkirchen bewältigen kannst.
In der nächsten Woche lässt Martin seine Freunde wieder vorgehen.
»Sag mal, verheimlichst du uns was?«, fragt Bernd, und Martin schaut zu den Fernsehern über den Fahrrädern, um sich nicht zu verraten. Der Abend auf dem Laufband beschäftigte ihn die ganze Woche.
Er hat nachgedacht in der Zwischenzeit. Ein wenig. Morgens nach dem Aufstehen und vor dem Mittagessen in der Firma. Zwischen Mittag und Feierabend. Abends. Unter der Dusche. Vorm Einschlafen. Ein wenig halt. Und jedes Mal dachte er: Sie hat zu mir rübergesehen, mehrfach. Die weißen iPod-Stöpsel in den süßen Ohren. Sie hat gelächelt. Ich habe siebzig Minuten mitgehalten! Schaffen die Muskelmänner siebzig Minuten? Der Student? Seine Freunde???
Als diese endlich weg und auf dem Weg zu Peggys Bar sind, macht Martin alles richtig. Er lässt sich nicht auf einen Wettkampf ein, sondern trainiert an den Geräten rund um seine laufende Liebe. Er stemmt. Er drückt. Er wechselt Blicke. Als sie fertig ist, steht er vom Butterfly auf und geht in ihre Richtung, das Herz am Anschlag, aber die Augen klar zielfokussiert. Sie nimmt ihr Handtuch, trocknet sich die Stirn – und wendet sich einem Vin Diesel zu, der sich ihr auf gerader Linie nähert. Augenblicklich vergisst Martin alles, was er sich ausgedacht hat. Die Worte fallen ihm aus dem Kopf wie eine ausgekippte Tüte Buchstabensuppe. Und während er um Fassung ringt und darauf wartet, dass Vin Diesel und seine geliebte Lara sich küssen, geht der Muskelmann einfach an ihr
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