Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
kurzsichtigen Augen und zuckt überrascht, als es so schwungvoll auseinanderbricht, dass er den Kopf noch in der Hand hält, der Fleischteil aber wie ein glitzernder Flummi über den Tisch springt.
Sabrinas Vater läuft zu Hochform auf:
»… weil sein Bauch angeblich spannt
und er wieder ist gerannt …«
Die Leute lachen. Es ist noch nicht vorbei. Sabrinas Mutter ist wieder dran.
»Rund um den See, als sei er jung,
als hätte er noch Jugendschwung.
Derweil macht sie sich große Sorgen …
ein Herz kann man sich nicht schnell borgen.«
»Tataaa, tataaa, tataaa«, spottet Sabrina leise und verschränkt ihre Finger ineinander. Ihre Nägel sind schwarz lackiert. Das macht Barbie auch nicht. Das Licht der Deckenleuchter spiegelt sich darin. Ein Arbeitskollege des Vaters bekommt einen Hustenanfall, weil er eine Gräte aus dem Fischschwarm verschluckt hat. Er würgt und röchelt, schiebt seinen Stuhl nach hinten und torkelt Richtung Toiletten.
Sabrinas Vater nimmt das Blatt fürs Finale in die Hand:
»Drum denk dran, Volker, bleib gelassen,
spar Kraft, anstatt sie zu verprassen.
Die Jutta brauch dich länger, gell?
Egal, ob langsam oder schnell«
Merke ➙ Schreibst du ein Gedicht zum Vortrag auf einem 50. Geburtstag, verfasse primitiv gereimte Gebrauchslyrik. Freie Formen, Dadaismus oder Symbole wie schwärende Wunden als Blumenblüten sind zu unterlassen.
Der Schlagzeuger spielt einen Tusch auf seinem elektronischen Schlagzeug. Die Menge klatscht und tobt. Fabians Vater bedankt sich. Dann setzt die Simulation eines lateinamerikanischen Rhythmus ein. Ein Hit von vor vielen Jahren, für den ein ganzer Tanz erfunden wurde: »Mambo No. 5«.
»O Gott«, sagt Sabrina, »jetzt rastet mein Vater ganz aus.«
Und in der Tat.
Der schmale Mann in Anzughose, der so bieder aussieht, als würde er ein Feld im Kreuzworträtsel frei lassen, wenn es ein Schimpfwort enthielte, fängt aus dem Stand an zu hüpfen, dreht die Augen nach links oben, als suche er im Geiste nach der Choreografie, findet sie, macht sie vor und zerrt fortan an den Hemden aller Gäste, damit sie aufspringen und ihm folgen. Sie tun es. Sie betreten die Tanzfläche, gehen links und rechts von Sabrinas Vater halb in die Hocke, beugen sich nach hinten und drehen die Arme wie Kurbeln umeinander. Schweißflecken färben das weiße Slim-Fit-Hemd des Vortänzers dunkel.
Sabrina seufzt: »Sie sind alle völlig schmerzfrei.«
Doch ihre Mutter strahlt. Es ist ihr egal, dass ihr Gatte schon um diese Zeit sternhagelvoll ist, sich an Tante Helena heranschleicht und sie mit dem Arsch halb auf die Bühne rammt. Sie genießt es, dass er endlich mal ausgelassen ist. Unter der Woche ist er nur noch ein Kaugeräusch hinter der aufgeschlagenen Zeitung, aus der seitlich Erdnusskrümel herausschießen.
Der Seehundsänger singt den Text des Hits in einem unfassbar deutschen Englisch. Fabian fragt sich, ob das wirklich so geschrieben wurde.
»A little bit of Monica in my life …«
Am Büfett hält ein Gast, der auch schon gut mit dem Alkohol dabei ist, einen Tintenfisch in die Höhe und ruft: »Was soll ich denn mit Tiefseekraken hier? Wo sind die Béchamelkartoffeln???«
»A little bit of Erica by my side …«
Auf dem Klo kommt endlich die Gräte aus dem Rachen.
»A little bit of Rita is all I need …«
»Und hey, Volker! Habt ihr keinen verdammten Braten???«
Gegen 22 Uhr ist Fabian dran. Er dachte schon, es wird nichts mehr, denn die Tanzband hörte einfach nicht auf zu spielen, und wann immer er auf seine Gitarre deutete, die seit 18 Uhr angelehnt auf der Bühne steht, schauten die Männer ihn an, als wolle sich ein kleiner Junge mit einer Zwille an einer Wildschweinjagd beteiligen. Jetzt aber hat er endlich sein Mikro. Sein Herz klopft bis zum Hals. Er hat sich richtig Mühe gegeben, als er diesen Song schrieb. Und Sabrina, die immer noch so tut, als seien sie bloß Kindheitsfreunde, hat eben beiläufig erwähnt, dass sie, würde sie jemals fünfzig, eine echte Band engagieren und Lieder von Mumford & Sons spielen lassen würde. Das würde Barbie auch nicht tun, absolut niemals. Fabian muss sich zwingen, zu seinem Vater und nicht zu Sabrina zu sehen, als er ein letztes Mal Luft holt und sein selbst geschriebenes Lied vorträgt.
»Für dich, Papa.«
In den vier Minuten, die Fabian nun spielt, passiert ein Schiff die Einfahrt des Jachthafens in ungefähr einem Kilometer Entfernung. Am Ruder: der Talentscout einer großen Plattenfirma. Stünde der Wind
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