Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
mäuschenleise auf der Wolldecke am Ufer.
Was man tun sollte
Nichts. Immer noch nicht verstanden?
Typischer Song
»Careless Whisper« von George Michael (Schilfmäuschenfassung)
Typisches Getränk
Rothaus Tannenzäpfle
Die After-Pump-Party
Die After-Pump-Party ist das Fest der Belohnung. Eine Feier des Fleißes, den man hinter sich gebracht hat. Eine Begegnung von Muskeln und Malz. Ungünstig ist nur, dass manche sich zu viel zutrauen …
Unfassbar, denkt Martin, als er den Studenten beobachtet, der schräg gegenüber an dem Gerät sitzt, an dem man die Gewichtstange mit den Armen in den Nacken zieht. Der Student hat den stählernen Pin bei zwanzig Kilo zwischen die Gewichte geschoben. Er zieht also die Hälfte seines Eigengewichts. Immer wenn er kraftvoll ausatmet, wird sein Kopf rot und es sieht aus, als wolle alles, was darin ist, mit Hochdruck aus sämtlichen Öffnungen schießen. Spucke spritzt aus dem Mund, Ohrenschmalz krümelt ihm aus Ohren, doch was das eigentlich Unfassbare ist: An den Wänden seiner beiden Nasenlöcher klebt – von ihm seit zehn Minuten unbemerkt – jeweils ein riesiger Popel, der im Wind weht wie ein Flatterventil. Martin hat seine Diplomarbeit als Ingenieur über Flatterventile geschrieben, vor zwanzig Jahren war das. Hundertfünfzig Seiten über Flatterventile an Kühlschränken. Ein wahrer Krimi. Seither hat er nicht mehr daran gedacht, aber angesichts solch famoser Flatterventilpopel wird er nostalgisch.
Der hagere Student ist das eine Extrem im Fitnessstudio Elixia . Das andere sind die Muskelmänner an den Stemmbänken. Sie haben einen Körper wie Dwayne »The Rock« Johnson und ein Gesicht wie Vin Diesel. Umgekehrt wäre es besser. Sie stemmen zweihundert Kilo. Doch was das Faszinierendste ist: Sie haben überhaupt keine Reststoffe im Körper. Kein Ohrenschmalz. Keine Popel. Nicht mal Nasenhaare. Nichts. Martin hat nachgesehen. Gestern. Langsam und wortlos ging er zu einem hin, sah ihm in die Ohren, beugte sich runter und inspizierte die Nase. Seine Freunde lachten sich schlapp. Der Muskelmann sah mit hochgezogener Braue auf Martin herab, ließ die Inspektion aber restlos zu.
Merke ➙ Bodybuilder sind auf ihre radikale Reinlichkeit mindestens ebenso stolz wie auf ihre Muskeln und froh, wenn das überhaupt mal jemand bemerkt. Muskelmänner mit Körperhaar, Schmalz und Popeln nennt man nicht Bodybuilder, sondern Hooligans.
»Mach hin, Martin, wir wollen zur Belohnung schreiten!«
Sein Freund Bernd klopft ihm gegen die Schulter, merkt aber gottlob nicht, warum Martin träumt und trödelt. Eigentlich beobachtet er gar nicht die anderen Männer, sondern die Frau auf dem Laufband. Eine nordische Lara Croft. Lange, blonde Haare fallen ihr bis zum perfekt runden Po und spielen mit den Spitzen aufreizend am Steiß. Atemberaubende Brüste schwingen unter dem engen Tanktop in einem Sport-BH auf und ab und können dabei nirgends, aber auch nirgends hin, während sich an der Flanke ihrer Sanduhrtaille der Schweiß abzeichnet. Auf die glitzernden Tropfen, die ab und zu von ihrer Stirn, an der Wange vorbei den zarten Hals hinablaufen, ist Martin neidischer als auf den reichsten Mann der Welt.
Noch ein paar Wochen, denkt sich Martin, dann bin ich gut genug in Form, um sie anzusprechen. Denn zwischen krümeligen Studenten mit Flatterventilen und viel zu perfekten Muskelmännern, denen der Charme abgeht, ist er doch eigentlich die magische Mitte. Zumindest seit er »wieder was tut«.
Was sagt die Wissenschaft? ➙ Ab einem Alter von vierzig Jahren bekommt jeder Mann den Eindruck, dringend etwas für seinen Körper tun zu müssen. Das Besondere daran: Der Mann empfindet dies nicht als intrinsische Motivation, sondern als Zwang, der ihm von außen auferlegt wurde – selbst dann, wenn absolut niemand es von ihm verlangt hat. »Ein solches Verhalten«, so Diplom-Sportpsychologe Manuel Micanski vom Institut für mannigfaltige Motivationsforschung (IfmM) in Mallersdorf-Pfaffenberg, »folgt der Logik des projizierten Zwanges. Es ist eine puritanische Ersatzreligion. Der Märtyrer nimmt heldenhaft das Joch auf seine Schultern. Es geht nicht um die Effizienz des Trainings an sich, sondern um die Pflichterfüllung.«
Und genau aus diesem Grund ist das Beste am Training die After-Pump-Party. Kaum sind die letzten Gewichte verklirrt, wandern Martin und die Freunde in eine nahe gelegene Rock ’n’ Roll-Bar, die mit beflammten Billardkugeln verziert ist, und trinken bei ihrer Stammwirtin
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