Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
ungeschälten Garnelen, die am Stück, samt Beinen und Augen, auf dem riesigen Silbertablett liegen.
»Wenn ich fünfzig werde«, hat Fabians Vater gesagt, »gibt’s keine Kartoffeln mit Béchamelsoße und Braten. Es gibt ein Büfett nur mit Meeresfrüchten!«
Sabrinas Blick schweift über das Ergebnis. Neben den Garnelen liegen ganze gebratene Fische auf einer Platte, wie ein Schwarm, der mitten im Schwimmen betäubt wurde. Aus den Salatschüsseln ringeln sich Tentakelarme mit Saugnäpfen in die Lüfte. Sabrina zieht ihre feine Augenbraue hoch.
Fabian liebt ihre Skepsis. Diesen leisen, arroganten Spott, den sie in ihren Blick legt. Als kleine Kinder haben sie zusammen auf den Teppichen ihrer Eltern gespielt. Schon damals konnte sie so gucken, wenn er einer Barbie die falschen Klamotten anzog. Sabrina ist keine Barbie geworden. Obwohl, körperlich schon. Aber geistig, da ist sie wie die Hackermädchen aus den ganz coolen Fernsehserien. Es gibt keine bessere Kombination.
»Meine Eltern dachten, das sei stilvoll«, antwortet Fabian. »Immerhin ist das hier ein Jachthafen.«
Sabrina schaut rüber zur Bühne, auf der die Band ihr Equipment aufbaut.
»Hätten sie mal lieber bei den Musikern auf Stil geachtet.«
Fabian lacht.
Der Sänger trägt einen Seehundschnauzer, den sich sonst nur noch Handballtrainer oder Die Höhner trauen. Der Drummer baut kein echtes Schlagzeug auf, sondern ein elektronisches, das nur aus kleinen schwarzen sechseckigen Pads besteht. Fabians Eltern waren erst achtundzwanzig, als Nirvana ihren großen Durchbruch hatten, aber auf Vaters Fünfzigstem errichten Männer mit einem Wald auf der Oberlippe die Technik für den Discofox.
Merke ➙ Es ist vollkommen egal, wann jemand geboren wurde und welche Musik seine Jugend prägte. Am 50. Geburtstag fallen sie allesamt wieder auf den Stand gemieteter Tanzbands zurück.
»Der Volker, das ist allen klar,
der ist ganz häufig wunderbar,
charmant und lustig und bescheiden –
deswegen mag ihn jeder leiden.«
Sabrina legt die Hand vor die Stirn. Gut, dass sie und Fabian ganz hinten sitzen.
Die Hände ihrer Mutter zittern schon genug mit dem aufgefalteten DIN-A4-Blatt zwischen den Fingern. Sie und Sabrinas Vater teilen sich die Rezitation des Gedichts, das sie für Fabians Papa geschrieben haben. Sie sind die ältesten Freunde. Sabrinas Vater ist weniger nervös als seine Gattin. Er tippelt vorfreudig auf der Stelle und kann es kaum abwarten, die nächste Strophe zu übernehmen. Das liegt daran, dass er bereits seit 18 Uhr getankt hat. Sabrinas Eltern haben als älteste Freunde das Recht, schon zwei Stunden vor Beginn zu kommen; im Grunde sind die ältesten Freunde so was wie Mitveranstalter. Die Mütter hasteten gemeinsam durch den Saal und die Flure, um alles zu regeln. Die Väter hockten sich an die Theke der Hafenbar und bestellten sich das erste kleine Bier, »bevor’s gleich losgeht.« Es wurden sechs oder sieben daraus.
Was sagt die Wissenschaft? ➙ Bis zu 30 Prozent sämtlicher Biere in Deutschland werden abseits des offiziell vorgesehenen Biertrinkrahmens verzehrt. Wie Feldforschungen ergeben, werden diese speziellen Situatio nen meistens mit Wendungen wie »Schon mal schnell, bevor’s losgeht« oder »Eigentlich darf ich nicht im Dienst« eingeleitet, die den Suff innerhalb »illegitimer Kontexte« mit einem Ruck in den Bereich des Machbaren heben. »Ohne Bierkonsum in Situationen, in denen Bierkonsum ›eigentlich‹ nicht vorgesehen ist, würde die deutsche Brauereibranche in Schieflage geraten«, so Prof. Albert Aupperle vom Institut für ambitionierte Alkoholismusforschung (IfaA) in Altersbach. Eines der wichtigsten Standbeine der deutschen Wirtschaft beruht somit auf einem Konsum, der bei korrektem Ablauf der Dinge gar nicht stattfinden dürfte.
»… nur Volkers Frau, die leidet leise!«
Sabrinas Vater liest das Gedicht viel lauter vor als seine Gattin. Bei ihm klingt es wie eine Büttenrede an Karneval. Fehlt nur noch das »Tataaa!« hinter jeder zweiten Zeile.
»… wenn er ablehnt jede Speise.«
Die Leute lachen. Sie kennen das Geburtstagskind und wissen, worauf die Pointe hinausläuft. Gib den Leuten, was sie wollen, denkt Fabian und wird nervös, weil er für seinen Papa was ganz anderes geplant hat. Die Tanzbandmusiker sitzen schon auf der Bühne und warten auf ihren Einsatz. An einem Tisch ganz vorne versucht Großvater Horst, irgendwie die im Ganzen servierten Garnelen zu essen. Er hält das Tier vor seine
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