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Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Pieper
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Schreckliche Dinge passieren nur den Anderen, irgendwo auf der Welt, ich selbst werde davon schon verschont bleiben. Der Mensch ist gerne kurzsichtig, um nicht zu sagen auf einem Auge blind. Denn Krisen – globale und individuelle Katastrophen – sind Prüfungen, die wir im Leben zu bestehen haben. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Wir sollten uns im Klaren darüber sein, dass das Leben nun einmal unversicherbar ist und unvorhergesehene Zwischenfälle normal sind. Unser Leben mäandert wie ein Fluss zwischen ruhigen Phasen und heftigen Abschnitten hin und her, in denen es zu schweren Krisen kommen kann. Wenn wir uns der Tatsache bewusst sind, dass es diese Untiefen gibt, werden wir im Falle eines plötzlichen negativen Ereignisses nicht so gelähmt und geschockt sein. Wir können gelassener reagieren und haben deutlich bessere Chancen zu bestehen. Mit dem Wissen, dass auf jeden von uns noch einige Krisen zukommen werden, können wir abgeklärter auf sie reagieren, bei Bedarf eine Kursänderung vornehmen und ein vermeintliches »auf Grund laufen« nicht als Scheitern, sondern als wichtiges Innehalten begreifen. Das können wir aber nur, wenn wir bereit sind, das, was uns selbstverständlich oder lieb und teuer geworden ist, zu gegebener Zeit loszulassen. Mir hilft dabei eine buddhistische Weisheit: »Wir werden geboren, um zu sterben. Wir besitzen Dinge, um sie zu verlieren. Wir begegnen Menschen, um sie zu verlassen.«
    Alles eine Frage der Perspektive
    Diese Sichtweise ist den Bewohnern der westlichen Hemisphäre eher fremd. Wir horten, besitzen und mehren, definieren uns über äußere Werte, betrauern deren Verlust und hadern mit unserem Schicksal. Ein glückliches, erfülltes Leben heißt für die meisten von uns: Wohlstand (oder doch zumindest ein gesichertes Auskommen), weniger Arbeit, ein größeres Haus, Reisen in ferne Länder … Es geht um ein Mehr, um eine eher quantitativ-materielle Optimierung des Vorhandenen. Als Vergleich dient uns dabei die Vergangenheit (Habe ich inzwischen mehr erreicht?) oder die Zukunft (Was muss ich noch schaffen, dass …?). Die Gegenwart rutscht uns dabei allzu oft aus dem Blick. Wenn dann dieses leistungsorientierte Streben nach Mehr ins Stocken kommt, gerät plötzlich alles ins Wanken: zunächst unser Glücks- und Sicherheitsgefühl, dann unsere Sicht auf die Welt und schließlich und vor allem auf uns selbst. Wir empfinden Versagen, Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Zweifel, weil das, was wir als so wichtig erachtet haben, in Trümmern vor uns liegt.
    Für mich persönlich war in diesem Zusammenhang eine Begegnung mit Jugendlichen nach dem Tsunami in Sri Lanka sehr erhellend. Sie boten am Strand Touristen kleine Dienste an, eine Fahrt mit dem »Tuc-Tuc«, die Erledigung eines Einkaufs und ähnliches mehr. Auf meine Frage, was sie in ihrem Leben erreichen wollen, wie sie Glück und Zufriedenheit definieren, antworteten die meisten von ihnen: »Ich möchte ein guter Mensch sein!« Sie sahen ihr Leben im Gesamtzusammenhang eines großen Kreislaufs aus Tod und Wiedergeburt und wollten Meriten sammeln für ein späteres Leben, das umso besser sein würde, je mehr Gutes sie im jetzigen Leben getan hätten. Ihre Ziele orientierten sich an anderen Inhalten, das Anhäufen materieller Dinge spielte für sie kaum eine Rolle.
    Haben diese Jugendlichen also den Kern des glücklichen Lebens entdeckt, weil sie andere Prioritäten setzen? Ähnlich wie Menschen, die schwere Krisen überwunden und ihr Leben danach anders ausgerichtet haben? Viele meiner Patienten betonen tatsächlich immer wieder, dass ihnen die schwere Zeit die Augen geöffnet habe für die Dinge, die ihnen wirklich wichtig und wertvoll sind. Auch ich habe in dieser Hinsicht durch meine jahrelange Arbeit mit Traumatisierten viel gelernt: Mir ist klar geworden, dass jeder für sich sein Glück finden kann in dem, was er hat – sofern er dies als wertvollen Besitz erachten kann. Traumatisierte haben mir wiederholt erklärt, dass sie den Wert von Normalität erst erkannt hätten, als diese nicht mehr da gewesen sei. Wie schön und wertvoll es sein kann, einen Tag zu erleben, der angefüllt sei mit Dingen, unter deren Banalität und Gleichförmigkeit sie früher gelitten hätten. Den alltäglichen »Stress« mit den Kindern erleben zu dürfen, morgens bei schlechtem Wetter zur Arbeit zu »müssen«, nein, zu dürfen. Den Anblick einer Blume, den Lauf der Jahreszeiten – plötzlich war der lange verschleierte Blick

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