Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
vergeudete Zeit empfanden, kehrten sie das Warten in eine positive Erfahrung um, die wir nicht gemacht hätten, wäre der Bus pünktlich gekommen. Als er sich nach 45 Minuten endlich näherte, stiegen wir ein und suchten uns einen Platz. Kaum saßen wir, kam eine der Frauen noch einmal zu uns und sagte lächelnd, sie wolle sich bedanken, dass sie mit uns so schön »meditiert« habe.
Von ihr habe ich gelernt, dass jede Zeit wertvoll sein kann, auch Wartezeit. Es kommt nur auf die Perspektive an.
3. Grundannahmen über uns und die Welt
Von Benjamin Franklin stammt der berühmte Satz, nichts im Leben sei sicher – außer dem Tod und den Steuern. Es ist immer nur eine Illusion von Sicherheit, an der wir festhalten, eine absolute gibt es nicht. Im Guten wie im Schlechten passiert immer das Unvorhergesehene. Wir geben uns also stets einem eher trügerischen Sicherheitsgefühl hin, das wir alle aus mehr oder weniger bestimmten Grundannahmen über uns und die Welt beziehen. Die amerikanische Psychologin Ronnie Janoff-Bulman hat in ihrem Buch »Shattered assumptions« festgestellt, dass diese Grundannahmen erschüttert werden, wenn Menschen in traumatische Situationen oder Krisen geraten: Ein Weltbild, an dem man sich bis dato orientiert hat und in dem man sich sicher gefühlt hat, gerät ins Wanken, nichts ist mehr, wie es einmal war.
Die im Folgenden genannten Grundannahmen werden sicher nicht von uns allen notwendigerweise explizit so reflektiert, aber jeder sollte einmal überprüfen, inwieweit er sich von solchen Grundannahmen tatsächlich leiten lässt.
I. »Die Welt um mich herum ist ein sicherer Ort.«
Wir versuchen in der Regel, uns einen Raum zu schaffen, in dem wir uns sicher fühlen. Der kleinstmögliche Kokon ist dabei unser Zuhause. Vor allem dort glauben wir, nach dem Motto »my home is my castle«, geschützt und sicher vor den Widrigkeiten des Lebens zu sein. Gott sei Dank stimmt das ja auch fast immer. Aber schon ein Einbruch – selbst einer, der glimpflich ausgegangen ist – genügt, um die Betroffenen empfindlich in ihrem Sicherheitsgefühl zu stören, so dass sie über eine lange Zeit nicht mehr in ihrer Wohnung oder ihrem Haus entspannen oder ruhig schlafen können. Noch schlimmer ist es, wenn es im Haus brennt oder man Opfer eines gewaltsamen Überfalls wird. Das Geborgenheitsgefühl entpuppt sich als Illusion, als eine nur vermeintliche Sicherheit. Es ist, als werde einem der Teppich unter den Füßen weggezogen, als werde das Fundament, auf das man gebaut hat, zerstört.
II. »Nur wer sich in Gefahr begibt, dem passiert etwas. Mir kann so etwas nicht passieren, ich bin vorsichtig.«
In den Siebzigerjahren gab es einen populären Sponti-Spruch: »Wer sich NICHT in Gefahr begibt, kommt darin um.« Damals war dies eine Spitze gegen das Establishment, gegen all die Langweiler und Spießer, die gefangen waren in ihrem Sicherheitsdenken. Im Zusammenhang mit unserem Thema zeigt er indes eine neue Lesart auf. Man könnte sagen, dass es für die Psyche geradezu gefährlich ist, sich mental nicht in Krisen- und Gefahrensituationen hineinzuversetzen. Ich werde später noch genauer darauf eingehen, warum eine Auseinandersetzung in »Friedenszeiten« eine sinnvolle Vorbereitung für Krisen sein kann. Für den Moment sei nur so viel gesagt: Wir müssen unsere Widerstandskräfte in Zeiten der Ruhe stärken, um bei plötzlicher Gefahr gewappnet zu sein. Nur so können wir den Überraschungseffekt und damit die Gefahr der Hilflosigkeit in einer Krisensituation minimieren.
Menschen, die sich hinter der Haltung »ich bin vorsichtig, mir passiert schon nichts« verstecken, sind geradezu prädestiniert dafür, mit Krisen nicht oder nur sehr schlecht umgehen zu können. Widerfährt Anderen etwas, sind sie schnell bei der Hand mit Erklärungen: »Was? Ein Deutscher, entführt im Libanon und dort lange in der Hand von Geiselnehmern? Er hätte ja nicht ausgerechnet da hinfahren müssen!« Ihr eigenes Weltbild gerät dadurch nicht ins Wanken, sie haben sich nichts vorzuwerfen.
Bei außergewöhnlichen, lebensbedrohlichen Ereignissen sind diese Menschen besonders gefährdet, traumatisiert zu werden, gerade weil eine maßgebliche Grundannahme vollkommen und vermeintlich ohne eigenes Zutun erschüttert wurde.
III. »Die Welt ist vorhersagbar und gerecht, deshalb bekommen die Menschen auch, was sie verdienen. Und sie verdienen, was sie bekommen.«
Wir haben immer eine gewisse Vorstellung davon, was während der
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