Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
Auseinandersetzung mit den meist plakativen Medienberichten immer nur kurz entflammt und die Themen Tod, Verlust, Verletzungen, Entbehrungen rasch wieder verdrängt werden, vollzieht sich eine Veränderung im emotionalen Zentrum des Gehirns, der Amygdala. Dort gehen dann zwar jedes Mal die »Alarmlampen« an, sie melden »Achtung, Gefahr!«, aber es wird nichts unternommen, um die Gefahr zu bannen. Es werden also immer wieder »offene Gestalten« produziert, die ein permanentes Gefühl der Verunsicherung und einer sich verfestigenden Angst erzeugen. Wir lassen uns irritieren, glauben, in der gefährlichsten aller Welten zu leben, und misstrauen unseren Fähigkeiten, in einer solchen Welt bestehen zu können.
Doch wie kommt es eigentlich, dass wir uns in einer Zeit, die – objektiv gesehen – vergleichsweise ruhig ist (zumindest für Deutschland gilt, dass zum Beispiel die Arbeitslosigkeit auf einem historischen Tiefstand ist und das soziale Netz bei aller Kritik engmaschig oder dass Naturkatastrophen oder der Ausbruch eines Krieges unwahrscheinlich sind), so ängstlich und überfordert fühlen? Wie der Hamster im Rad, das sich immer schneller dreht? Müssen wir wirklich so viel mehr stemmen als etwa die Menschen vor fünfzig Jahren? Oder jammern wir nur auf hohem Niveau?
Die Unzufriedenheit wächst, obwohl sich zumindest in unseren Breitengraden die objektiven Lebensbedingungen auf einem sehr hohen Level befinden. Betrachtet man die Entwicklung seit Ende des Zweiten Weltkriegs, kann man feststellen, dass unser Leben in vielen Bereichen vermeintlich einfacher geworden ist. Es gibt enorme technische Fortschritte, die uns das Arbeitsleben erleichtern, wir verfügen – verglichen mit anderen Staaten der Welt – über einen sehr hohen Lebensstandard, alle Bürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung, wir sind sozial abgesichert und vieles mehr. Dennoch nehmen die Klagen zu. Ein Blick in die Vergangenheit legt nahe, dass diese Tendenz in dem Maße ansteigt, je größer die materielle Sicherheit ist. Wenn man alten Menschen zuhört, die den Krieg und die kargen Nachkriegsjahre noch erlebt haben oder die während des DDR -Regimes Entbehrungen hinnehmen mussten, so erfährt man häufig, dass diese Zeit zwar als schlimm empfunden wurde und niemand sie sich zurückwünscht, aber dass die innere Zufriedenheit größer gewesen sei. Man habe sich an kleinen Dingen sehr erfreuen können, der Zusammenhalt untereinander sei größer gewesen, man habe sich mehr um den anderen gekümmert und sich gegenseitig unterstützt. Kurz: Es habe mehr Solidarität geherrscht.
Offensichtlich fördern wachsender Wohlstand und das Fehlen einer massiven Bedrohung von außen Missgunst und Egoismus, während man in schweren und entbehrungsreichen Zeiten eher enger zusammenrückt. Auch wenn die äußeren Umstände problematisch sind, scheint der Einzelne ein Mehr an individueller Zufriedenheit zu empfinden. Es wäre sicherlich kein guter Umkehrschluss zu sagen, dass es uns als Gesellschaft erst wieder schlechter gehen oder zu einem Kollaps des Systems kommen muss, damit wir eine andere Haltung einnehmen. Aber wir sollten doch einen Moment innehalten und einen Blick auf das werfen, was uns wichtig ist und wie wir ein glückliches, erfülltes Dasein definieren.
Wir alle streben in unserem Leben nach Sicherheit und Normalität und versuchen uns gegen sämtliche Widrigkeiten abzusichern. Die Versicherungsbranche macht Milliardengewinne, und wir haben das Gefühl, mit all unseren Policen im Schrank gegen alle erdenklichen Unwägbarkeiten gewappnet zu sein. Überhaupt wird alles immer sicherer und besser: Die Autos, die medizinischen Behandlungen, die Technologie, allerorten werden Sicherheits- und Qualitätskontrollen eingeführt, die uns ein Rundum-sorglos-Gefühl vermitteln. Trotzdem gibt es immer wieder Ereignisse, die uns unvorbereitet treffen und gegen die wir uns nicht versichern können: der Tod eines Angehörigen, ein Unfall, eine Krankheit, Arbeitslosigkeit und so weiter. Es gibt sogar Ereignisse, deren statistische Wahrscheinlichkeit so gering ist, dass sie eigentlich gar nicht hätten stattfinden dürfen. Das markanteste in dieser Hinsicht war in letzter Zeit sicherlich der Tsunami in Japan, auf den die anschließende Atomreaktor-Katastrophe in Fukushima folgte.
Extremfälle wie diese zeigen, dass es eine absolute Sicherheit auf dieser Welt einfach nicht gibt. Dennoch klammern wir uns nur allzu gern an diesem Strohhalm fest.
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