Überman
unterschreiben, dass wir auf eigene Gefahr im Bunker sind und was weiß ich wo runterfallen könnten oder mit dem Kopf gegen Dinge laufen und kläglich verbluten. Nichts, was Phil abschrecken könnte, so scheint es, denn er unterschreibt, ohne zu zögern. Die Frau hinter dem Schreibtisch mustert dennoch skeptisch seine Krücken.
»Sie wissen, dass es viele Treppen gibt?«
»Deswegen hab ich ja meine Krücken dabei und nicht den Rollstuhl.«
»Er hat auch jede Menge Medikamente genommen«, ergänze ich und fange mir einen bösen Blick von Phil.
»Ich kann Treppen laufen und fertig, wie, ist doch egal!«
»Wir haben oft Leute von der Reha hier. Solange Sie unterschreiben und die Gruppe nicht aufhalten, ist es uns egal«, ist der Kommentar der Frau im Anorak. Die Besucher werden in drei Gruppen aufgeteilt, und wenige Minuten später stehen Phil und ich mit fünfzehn potentiellen Amokläufern in einer muffigen Doppelgarage und warten darauf, dass der Mann, der mit seinem gelben Anorak und quer gelegten grauen Haaren aussieht wie ein Wissenschaftler in einem Ami-Spielfilm, irgendwas sagt, statt sich andauernd nur zu räuspern.
»Willkommen in der Welt des Kalten Krieges!«, beginnt er dann doch, »stellen Sie sich vor, wir haben Oktober 1967 , der Warschauer Pakt hat soeben mit einem Atomangriff gedroht, deshalb sind Sie, die leitenden Beamten der Landesregierung NRW heimlich in diesen Atombunker gebracht worden, den Ausweichsitz der Landesregierung. Ihre Aufgabe ist es nun, aus dem Bunker heraus das Land weiterzuregieren.«
»Wie? Mit diesen Ottos?«, fragt Phil ein klein wenig zu laut und erntet argwöhnische Blicke.
»Folgen Sie mir!« Der Wissenschaftler öffnet eine Stahltür, Phil wirft mir einen bedeutungsschweren Blick zu, und dann geht es mit der kompletten Gruppe über eine steile Treppe nach oben. Phil gibt sich alle Mühe, den Anschluss nicht zu verlieren, hat aber offenbar doch größere Probleme, als er zugeben mag. »Seit wann gehen Bunker nach oben?«, ist das Einzige, was er zu schnaufen imstande ist.
»Weil er in den Hang gebaut wurde?«, rate ich, doch Phil hört es gar nicht. Wir passieren zwei dicke Stahltüren und stehen vor einem kleinen Raum mit Dusche, Klo und Klappen für kontaminierte Kleidung. Ich ziehe mein iPhone aus der Tasche und filme den Eingang. Jetzt recken auch die mehrheitlich männlichen Teilzeit-Apokalyptiker um uns herum ihre Hälse und packen ihre Kameras aus.
»Die Strahlenschutzanzüge auch filmen!«, krächzt Phil.
»Yap!«, sage ich und filme die Strahlenschutzanzüge.
»Für alle, die nach einem Atomschlag in den Bunker wollten, war hier erst mal Schluss«, erklärt der Mann im gelben Anorak, und zum ersten Mal sehe ich auch sein Namensschild. Dr. Versch steht darauf, und wenn ich mir die Website richtig angeschaut habe, dann ist das der Besitzer der Anlage.
»Zuerst musste man seine verstrahlte Kleidung in diese Klappe werfen, und wenn man der Meinung war, dass man gründlich genug geduscht hatte, dann durfte man zum Arzt nebenan, und der hat einen auf Reststrahlung untersucht. Wenn der Geigerzähler ausschlug, hieß es noch mal duschen und noch mal messen. War man dann immer noch verstrahlt, durfte man wieder gehen!«
»Und in welchen Klamotten?«, fragt der wieder zu Luft gekommene Phil naseweis.
»In der Winterkollektion von H&M!«, antworte ich und bekomme einen Mittelfinger gezeigt.
Ich komme mir vor wie in einer Zeitmaschine: Mit jedem Meter, den wir uns ins Innere des Bunkers vorarbeiten, reisen wir zurück in die Zeit des Kalten Krieges, und mit jedem Schritt mischt sich mehr neblige Beklommenheit in die Atemluft. Seltsam, denke ich mir, dass ich von dieser Angst als Kind nicht wirklich was mitbekommen habe. Da standen sich jahrzehntelang zwei bis auf die Zähne hochgerüstete Supermächte gegenüber mit dem Finger am roten Knopf, um die komplette Erde zu pulverisieren, und ich hab mit einem Ed von Schleck in der Hand
Kimba, der weiße Löwe
angeguckt
.
Wir folgen Herrn Versch in einen mittelgroßen Raum mit großen Karten an der Wand, und Phil nutzt dankbar den einzigen Stuhl im Raum, um sich zu setzen. Ich stelle mich zu ihm und betrachte einen der eierschalenfarbenen, alten Wählscheiben-Apparate, die die Deutsche Bundespost auch dann noch verkauft hat, als Michael Douglas in
Wallstreet
schon mit einem schnurlosen Telefon am Strand joggte. Um mich zu vergewissern, dass wir nicht mehr in den achtziger Jahren stecken, ziehe ich mein iPhone aus der
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