Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
nur dieses Mal etwas dynamischer.
Der Depressiven schien es immer noch nicht besser zu gehen. Nach vorne gebeugt schlurfte sie an uns vorbei, das bisschen Gesichtshaut, das man durch ihre langen Haare hervorschimmern sah, war kreidebleich. Als ich dieses Mädchen so betrachtete, wurde mir auf einmal bewusst, wie gut es mir doch ging. Ich litt weder unter einer Wochenbettdepression noch lag meine Mutter im Sterben. Und ich konnte mich darauf freuen, mein Baby nach dem Frühstück das erste Mal selbst wickeln zu können.
Ich legte Leni auf die Wickelkommode, streichelte sie und sprach ihr ein paar ruhige Worte zu, dann knöpfte ich ihren Body auf und streifte ihn behutsam über ihr Köpfchen. Die Ärmel zog ich ein bisschen schneller durch. Da sah ich etwas weißes Gewölbtes aus dem Body hervorlugen. Es war Lenis Namensbändchen! Sofort war es wieder da, dasselbe Gefühl wie am Morgen zuvor, als die Schwester die Kleine zu mir gebracht hatte. Von der Zeit mit Yara im Krankenhaus erinnerte ich mich, dass die Bändchen meist recht locker saßen, nicht so fest wie eine Armbanduhr zum Beispiel. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass diese Dinger so leicht von der Hand rutschen könnten. Mit zittrigen Fingern nahm ich das Bändchen und starrte es an. In meiner ganzen Aufregung vergaß ich fast, dass Leni nackt vor mir lag und wahrscheinlich fror. Das muss ich den Schwestern sagen , war mein erster klarer Gedanke.
Ich zog Leni wieder an, legte sie in ihr Bettchen und das Namensschildchen auf ihre Decke. Dann fuhr ich mit ihr zum Schwesternzimmer.
Vier oder fünf Schwestern saßen um einen Tisch herum und unterhielten sich. Anscheinend machten sie gerade eine Dienstübergabe.
»Entschuldigung«, fuhr ich dazwischen, obwohl es mir unangenehm war. Ich nahm das Bändchen und hielt es wie ein Beweisstück in die Luft. »Das ist beim Wickeln abgefallen. Bitte machen Sie meiner Kleinen ein neues Band dran und vor allem fester.«
»Ja, machen wir«, antwortete eine Schwester, ohne dass die Unterhaltung unterbrochen wurde.
Ich blieb stehen und wartete. Aber nichts geschah. Nach einer Weile schaute eine andere Schwester hoch. »Was ist denn noch?«
Ich konnte förmlich spüren, wie mein Status in den Keller sank. »Ich warte auf das neue Bändchen«, antwortete ich kleinlaut.
»Lassen Sie das Bettchen stehen, wir machen das.«
Ich tat widerwillig wie mir geheißen, ließ das Bett samt Kind stehen und trottete davon.
Als ungefähr zwanzig Minuten später eine Schwester das Bettchen ins Zimmer hereinrollte, hatte Leni doch tatsächlich kein neues Bändchen an, sondern lediglich ihr altes wieder übergestreift.
»Na toll, das hätte ich auch noch hinbekommen«, murmelte ich verärgert. Da ich aber nicht vorhatte, Leni wieder aus den Händen zu geben, dachte ich mir, es dabei zu belassen.
Das Bändchen ging an diesem Tag noch ein paar Mal ab. Immer, wenn ich Leni wickelte oder wenn sie zappelte, verlor sie es. Irgendwann gab ich es auf, ihr das blöde Ding immer wieder dranzumachen und ließ es einfach im Babybett liegen. Ich hatte Leni ja ohnehin immer bei mir. Wenn es denn wirklich, wirklich meine Leni war …
Als Schwester Marion kam, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei, weihte ich sie wieder einmal in meine Sorgen ein. »Ich hab das Gefühl, dass dieses Baby nicht mein Baby ist. Ich bilde mir ein, dass es vertauscht wurde. Es sieht so anders aus als am Tag seiner Geburt. Außerdem ging heute beim Wickeln das Namensbändchen ab.« Ich versuchte, meine Befürchtung so unaufgeregt wie möglich rüberzubringen. Auf keinen Fall wollte ich schon wieder paranoid wirken.
»Frau Klos, machen Sie sich nicht solche Gedanken. Das passiert doch nicht.« Obwohl sie nichts anderes als all die anderen sagte, beruhigten mich ihre Worte. Und wieder einmal beschloss ich ganz fest, mit diesem Thema endlich abzuschließen.
KAPITEL 9
A m nächsten Morgen fand die U2 statt. Diese Untersuchung wurde im Säuglingszimmer durchgeführt. Die zuständige Kinderärztin begrüßte mich nur kurz, beinahe schon unfreundlich, und beachtete mich ansonsten kaum. Ich war froh, dass Schwester Marion dabei war. Nachdem ich Leni vollständig ausgezogen hatte, sah die Ärztin sich die Kleine an. Sie diktierte der Schwester einige Ergebnisse, die diese in das gelbe Untersuchungsheft eintrug.
Dann kam der Moment, als Leni gewogen wurde.
»3080 Gramm«, stellte die Schwester etwas ungläubig fest. »Ein Pfund leichter als am Geburtstag.«
Die
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