Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
Enkelchen für ein paar Stunden nahmen, war das purer Luxus für mich.
Ich war wirklich sehr stolz auf mein pflegeleichtes Kind. Besonders, wenn ich es mit Babys im Freundes- und Bekanntenkreis verglich; die Mütter hatten fast alle Stillprobleme, und manche Babys waren sogar Schreikinder. Immer, wenn ich unsere Kleine so ansah, friedlich nuckelnd an meiner Brust oder schlafend in ihrem Bettchen, dann dachte ich, dass ich genau das Kind bekommen hatte, das ich mir so sehr gewünscht hatte.
Noch schöner wurde es, als Leni dann ein paar Wochen alt war und zu lachen anfing. Sie lachte ständig. Und wenn man auf sie zukam, blinzelte sie ganz schnell mit den Augen, was unglaublich niedlich aussah. Überhaupt sah sie sehr niedlich aus. Meine ganze Verwandtschaft und alle meine Freunde waren von Leni einfach nur begeistert. Meine Mutter wurde nicht müde zu erwähnen, dass ich als Baby auch immer mit allen Leuten gelacht hätte. Lenis Lachen steckte alle um sie herum an, und jeder begann bei ihrem Anblick sofort, in einer drei Oktaven höher liegenden Babysprache zu säuseln und zu gurren: »Och, unser Trutschelchen, ja, komm mal her, mein Schätzchen …«, und drückte und knuddelte und knutschte sie.
Ziemlich oft kam aber auch die Frage: »Wem gleicht das Kind nur?« Fieberhaft wurde dann nach irgendwelchen verwandtschaftlichen Ähnlichkeiten gesucht. Meine Schwiegermutter Theodora glaubte in Leni Ralfs Schwester Nicole wiederzuerkennen.
»Aber die sieht doch total wie deine Schwiegermutter aus«, meinte hingegen meine Schwester Michaela.
Und meine Mutter wiederum stellte erleichtert fest, dass Leni nicht meine Nase hatte. Wenn ich dann erwiderte, dass kein Baby auf dieser Welt einen Höcker hat, sondern diesen erst, wenn überhaupt, im Laufe des Älterwerdens bekommt, setzte sie noch eins drauf. »Sie hat auch sonst nichts von dir – insbesondere, weil sie so still ist. Nur in deinem Bauch war sie lebhaft.«
Ich ließ mich von diesen Sticheleien aber nicht weiter beeindrucken. Das Einzige, was ich selbst verwunderlich fand, war Lenis dunkler Teint. Niemand von uns hat einen dunklen Teint. Meine Haut ist hell mit unzähligen Sommersprossen, und Ralf ist blond und auch eher hellhäutig. Yara ist so kreideblass, dass sie sogar Schneeweißchen genannt wird. Sie könnte wochenlang in der Sonne sitzen, ohne dass danach eine Farbveränderung zu erkennen wäre. Trotzdem creme ich sie bei Sonne natürlich ein. Yaras Haut ist auch ganz trocken, ähnlich wie meine. Schon seit meiner Kindheit leide ich an Neurodermitis. Lenis Haut jedoch war samtweich, so richtig satt und speckig.
Obwohl ich mich über Lenis Teint und Haut wunderte, zweifelte ich keine Sekunde daran, dass sie meine Tochter sein könnte. Dieses Zweifeln hatte ich ein für alle Mal hinter mir gelassen. »Dann ist sie eben aus der Reihe geschlagen«, erklärte ich die Tatsache, dass sie uns nicht glich. Meine Angst im Krankenhaus war vergessen. Ich dachte auch nicht an sie zurück, als Ricarda oder meine Schwester immer mal wieder scherzhaft in den Raum warfen: »Vielleicht ist Leni ja vertauscht!« Das Einzige, was passierte, war, dass ich diese Scherze irgendwann leid war. »Hört auf damit!«, rief ich dann, »ich find’s echt nicht mehr lustig!« Danach war dann auch Ruhe.
KAPITEL 11
I ch wünschte mir, dass Leni so früh wie möglich getauft werden würde. Yara war bei ihrer Taufe fast ein halbes Jahr alt und sehr quirlig gewesen. Sie konnte vor lauter Aufregung nicht einschlafen und schrie die ganze Taufpredigt über. Sie wurde von Arm zu Arm gereicht, aber es half alles nichts, sie ließ sich einfach nicht beruhigen. Solch eine anstrengende Taufe wollten wir nicht noch einmal erleben. Wir wollten unser zweites Kind in einem Alter taufen lassen, in dem es noch den größten Teil des Tages verschlafen würde.
Und genau so war es dann auch. Wir wählten den 19. August, also zwei Monate nach Lenis Geburt. Die Taufe fand an einem Sonntagmittag statt.
Meine Freundin Jule sang ein wunderschönes Solo – »Jedes Kind braucht einen Engel« von Klaus Hoffmann. Mathias begleitete sie am E-Piano. Bei diesem Lied stiegen mir sofort Tränen in die Augen. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich immer gleich losheule, wenn es in Liedern um Kinder geht. Noch tränenreicher wird es bei mir, wenn Kinder singen. Das ist ziemlich peinlich, denn Yara ist in einem Chor und hat wirklich viele Auftritte. Ich tue dann so, als müsse ich gähnen und würde deshalb feuchte
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