Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
bekommen.
»Was heißt das – das Jugendamt ist der Vormund meines Kindes? Dass ich nichts zu sagen habe, wenn es um die Belange meines Kindes geht?«
Er sah mir ins Gesicht. »Im Grunde genommen ja.«
Tränen schossen in meine Augen. Das ist doch mein Kind! Und dieser Mann will mir sagen, dass er über es bestimmen kann?! , dachte ich fassungslos.
Vielleicht war Herr Reichard ein typischer Bürokrat, der sich hinter irgendwelchen Paragrafen versteckte, oder sogar selbst unsicher in dieser Situation. Wie auch immer … Es war einfach zu heftig für mich, dass er so gar kein Mitgefühl zeigte. Meiner Ohnmacht wollte ich jedoch keinen Platz einräumen. Ich spürte, wie ich wütend wurde.
»Ich finde es unmöglich, dass das so eiskalt in diesem Ton geäußert wird! Ein bisschen mehr Gefühl wäre schon angebracht«, sagte ich. Und fragte mich gleichzeitig, warum ich nicht schon vor einem halben Jahr diese Vehemenz an den Tag gelegt hatte.
»Aber das ist nun mal der Stand der Dinge«, versuchte sich der Jugendamtsleiter zu rechtfertigen.
Frau Kirch ergriff nun Partei für mich und pfiff ihren Kollegen etwas zurück. »So drastisch müssen Sie das ja auch nicht ausdrücken, Herr Reichard.«
»Wenn ich wüsste, meinem leiblichen Kind geht es nicht gut, dann würde ich auch Leni gerne behalten«, schoss es aus mir heraus.
»Das geht aber nicht. Die andere Mutter hat einen Anspruch auf das Kind«, ging es im selben Ton weiter.
Und schon stritt ich mich weiter mit ihm. Jetzt, wo es darauf ankam, kämpfte ich wie eine Löwenmutter. Ich wollte, dass gemacht wurde, was ich für das Beste hielt.
»Ich sage ja nur, was ich fühle. Ich kann doch nicht ein Kind irgendwo hingeben, das ich monatelang wie mein eigenes geliebt habe, wenn ich nicht die Gewissheit habe, dass es da gut aufgehoben ist.«
»Aber Sie können es auch nicht einfach so adoptieren. Und das steht ohnehin nicht zur Debatte, weil die andere Mutter das gar nicht will«, konterte er.
»Okay, dann lassen wir das jetzt – weiter zum nächsten Tagespunkt«, sagte ich schnippisch.
Er klärte uns auf, dass beide Elternpaare rein rechtlich Anspruch auf ihr leibliches Kind hätten. Wenn nur eines von beiden sagen würde: »Wir wollen unser Kind«, dann müsste getauscht werden.
Für mich war ja von Anfang an klar gewesen, dass ich tauschen wollte. Ich hatte es bislang nur noch nicht ausgesprochen. Doch jetzt sagte ich es zum ersten Mal ganz offiziell: »Ich will auf jeden Fall tauschen. Oder beide Kinder behalten. So lassen, wie es ist, das kommt für mich nicht infrage.«
Ich hatte mein Kind länger in meinem Bauch gehabt, als es fort gewesen war. Es war in mir groß geworden. Sechs Monate war Leni jetzt bei mir. Und sie hergeben zu müssen war natürlich eine schreckliche Vorstellung. Aber die Ungewissheit, was mit meinem leiblichen Kind geschah, und die Tatsache, dass ich keinen Einfluss auf seine Entwicklung haben würde, waren kaum zu ertragen.
Jetzt meldete sich auch Ralf zu Wort. Er versuchte, meine Entschlossenheit etwas abzuschwächen. »Jetzt mal langsam«, sagte er. »Eins nach dem anderen.«
Ich war ihm zu schnell, das war mir klar. Aber ich war zuversichtlich, dass sich das auch bei ihm in die für mich einzig vorstellbare Richtung entwickeln würde. Ich glaube ohnehin, dass Väter erst einen Bezug zu ihrem Kind aufbauen, wenn es auf der Welt ist. Vorher ist es viel zu abstrakt für sie – ganz im Gegensatz zu den Müttern, die schon von Anfang an mit diesem Wesen, das da in ihnen heranwächst, verbunden sind.
Herr Reichard informierte uns noch, dass er und Frau Kirch auch zu der anderen Mutter fahren und ihr dasselbe darlegen würden. Auch sie wurde – zu ihrem eigenen Schutz – von der Presse abgeschirmt und in eine Jugendhilfeeinrichtung gebracht.
Zum Abschied erinnerte mich Herr Reichard daran, dass ich, wenn ich mit Leni irgendwohin fahren wolle, dem Jugendamt Bescheid geben müsse. Auch das empfand ich als die reinste Unverschämtheit, blieb dieses Mal aber still. Stattdessen dachte ich mir, dass ich das natürlich auf keinen Fall machen würde.
Anschließend ging es um die weitere Planung: Wann und wo treffen wir die andere Mutter und unser Kind? Dieser Termin sollte am nächsten Tag in der Uniklinik Homburg unter der Leitung eines Psychiaters stattfinden.
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