Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
hysterisch ins Telefon.
Ich erklärte ihr, dass die letzten Stunden einfach zu stressig gewesen waren. Und dann fackelte ich auch nicht länger herum. »Jetzt behalte bitte die Nerven«, sagte ich so sanft wie möglich. »Wir sind es.« Ricarda fing sofort an zu weinen und war völlig aufgelöst.
»Beruhige dich, Ricarda. Es geht uns so weit gut.«
»Du glaubst gar nicht, was hier los ist im Dorf! Es gibt nur noch dieses eine Thema.«
Zum Glück ließ mich das komplett kalt. »Sollen sie doch reden.«
Nach dem Gespräch mit Ricarda rief ich auch noch Hannah an. Schließlich sollte sie als meine Hebamme so früh wie möglich Bescheid wissen. Doch sie war schon informiert worden und konnte gar nicht aufhören zu weinen. »Jeannine, ich bin so froh, dass du anrufst. O Gott, das ist alles so schlimm!«
Sie ließ sich kaum beruhigen, und ich hatte Angst, dass sie am anderen Ende der Leitung zusammenbrach. »Hannah, es geht uns den Umständen entsprechend gut. Es geht nun alles seinen Weg. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen.«
Erst, als sie wieder normal atmete und nicht mehr heulte, konnte ich auflegen. Ein wenig wunderte ich mich schon, dass ich meine Leute beruhigen musste und nicht sie mich. Aber vielleicht tat es mir auch ganz gut, in dem Moment die Starke sein zu müssen.
Bis spät in die Nacht saßen wir vier zusammen, redeten und tranken Wein. Das Babyfone funktionierte hier im Kloster ohne Probleme. Wir erzählten von früher, von unserer Hochzeit und lachten sogar immer mal wieder über die eine oder andere Erinnerung. Bis Markus Weiss irgendwann sagte, er müsse morgen früh raus und sich verabschiedete. Ich hingegen hätte gern noch etwas mit Michael besprochen.
»Ich rufe nur noch kurz meine Frau an, dann komme ich wieder«, sagte er.
Wir warteten, dann klopften wir an seiner Tür, doch er lag schon im Tiefschlaf.
»Komm, wir lassen es gut sein, wir haben ja auch genug geredet für heute«, flüsterte Ralf. Er hatte recht, auch ich war todmüde.
Zurück in unserem Zimmer bemerkten wir, dass es Leni nicht so gut ging – sie wurde zum ersten Mal krank in ihrem Leben. Ihre Nase war verstopft, und sie hatte etwas Fieber. Ich gab ihr ein paar Globuli, die ich für alle Fälle dabei hatte. Vielleicht war es eine Reaktion auf das Ganze, was wir gerade durchmachten, überlegte ich mir.
Ich lag im Bett und hörte nichts außer Lenis Schniefen. Sonst herrschte absolute Stille.
Erst jetzt konnte ich wieder meine Gefühle wahrnehmen. Etwas in mir hatte sich verändert. Ich war nicht mehr Mutter zweier Kinder, ich hatte nun quasi drei Kinder – wovon eines woanders lebte. Ich wusste nicht wo und nicht mit wem. Ich wusste nicht, wie mein kleines Mädchen aussah. Und vor allem wusste ich nicht, wie es ihm ging. Diese Frage ließ mich nicht mehr los: »Wie geht es meinem Kind?«
Wieder und wieder stellte ich mir diese Frage und wie es jetzt wohl weitergehen würde, bis ich irgendwann in einen unruhigen Schlaf fiel.
Am nächsten Tag hatten wir unseren ersten offiziellen Gesprächstermin von all denen, die noch folgen sollten. Die Sozialdezernentin Frau Kirch und Herr Reichard, der Leiter des zuständigen Jugendamtes, kamen nach Sankt Thomas, um uns über die Rechtslage aufzuklären.
Frau Kirch begrüßte mich herzlich und drückte mich ganz fest an sich. »Wie geht es Ihnen denn? Nun ist ja doch eingetreten, was wir nie erwartet hätten. Es tut mir so leid für Sie.«
Herr Reichard gab mir die Hand, doch von ihm kamen keine Worte des Mitgefühls, nichts. Stattdessen packte er gleich die rechtlichen Fakten auf den Tisch.
Endlich erfuhr ich, was ich so dringend wissen wollte.
»Die andere Mutter ist erst fünfzehn Jahre, also noch minderjährig. Ebenso der leibliche Vater des Kindes.«
Ralf und ich blickten uns an. Ich glaube, dass wir sofort denselben Gedanken hatten: Adoption!
»Ist es die, an die ich mich erinnern kann?«, fragte ich Frau Kirch mit zitternder Stimme.
»Nein, die ist es mit Sicherheit nicht. Die Mutter hat einen ganz normalen Bezug zu ihrem Kind.«
Herrn Reichard interessierte dies herzlich wenig. Stattdessen ging er sofort zum nächsten Programmpunkt über.
»Rein theoretisch ist zurzeit das Jugendamt der Vormund Ihres leiblichen Kindes. Zwei Mal in der Woche schauen wir bei der anderen Mutter vorbei, ob auch alles in Ordnung ist.«
Ich war geschockt. Was dieser Mann mir gerade mit seinen trockenen Worten sagte, war furchtbar für mich. Ich versuchte, die Sache klarer zu
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