Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
würde.
Yara wollte ich unbedingt das Gefühl geben, dass bei uns alles in Ordnung ist. Ich versuchte darauf zu achten, dass sie die Gespräche und meine Ängste nicht mitbekam.
Aber ich drückte mich davor, sie in den Kindergarten zu bringen. Mittlerweile wusste das ganze Dorf, dass wir eine der Familien waren, die als Betroffene infrage kamen. Ich hatte keine Nerven dafür, mich irgendwelchen Fragen oder auch nur neugierigen Blicken auszusetzen. Theodora war so nett und brachte Yara in den Kindergarten und holte sie auch wieder ab.
Im Dorf einkaufen wollte ich genauso ungern. Ricarda und Ralf übernahmen das.
Meine Mutter konnte mir in dieser Zeit nicht so viel helfen. Sie war hauptsächlich damit beschäftigt, sich um meinen kranken Vater oder um ihren Enkel Tom zu kümmern. Michaela und Martin waren die ganze Zeit abwechselnd bei ihrer Großen im Krankenhaus. Ich fragte zwar regelmäßig nach, ob es etwas Neues gab, aber wirklich einbringen konnte ich mich nicht. Mein Kopf drohte auch ohne die Gedanken an die Leukämie meiner Nichte schon zu platzen.
KAPITEL 16
M ichael ließ uns wissen, dass mit ziemlicher Sicherheit am Mittwoch, dem 12. Dezember 2007, das Ergebnis des Gentestes vorliegen würde. Also fünf Tage, nachdem der Speicheltest gemacht worden war. Er versprach uns, dass er uns das Ergebnis persönlich überbringen würde – egal, wie es ausfiele. Auch die anderen Eltern würden ihre Ergebnisse von Psychologen erfahren.
Ralf ging wie jeden Tag auch an diesem Morgen zur Arbeit, und für mich war klar, dass ich auf keinen Fall allein zu Hause sein wollte. Ich überlegte, wohin ich mit Leni flüchten könnte, und entschied dann kurzerhand, zu meiner Mutter zu fahren. Mein Vater war in einer Rehaklinik, aber meine Schwester war da – sie durfte Ann-Kathrin wegen einer Magen-Darm-Grippe seit ein paar Tagen nicht besuchen.
Ich war fürchterlich nervös, tigerte nur umher und war kaum fähig, mich mit meiner Mutter oder Michaela zu unterhalten.
Es war gegen Mittag, als Ralf und Michael plötzlich in der Küche meiner Eltern standen. Sie hatten sich vor der Haustür verabredet und dann den Weg durch die offene Terrassentür genommen. Ralf war weiß wie die Wand und hatte Tränen in den Augen. Auch Michael sah mitgenommen aus.
Ein gellender Schrei war das Einzige, was aus mir herauskam. Ralf ging auf mich zu und nahm mich in die Arme. Er drückte mich ganz fest. Mit Michael zogen wir uns ins Wohnzimmer zurück.
Michael versuchte, die Situation irgendwie unter Kontrolle zu behalten und tat genau das Richtige: Er ging gleich zum rationalen Teil über.
»Ihr müsst jetzt an einen geheimen Ort, wo ihr vor der Öffentlichkeit geschützt seid. Ihr habt bis siebzehn Uhr Zeit, dann wird es eine Pressekonferenz geben. Es werden zwar keine Namen genannt, aber wir sind hier auf dem Dorf, deswegen wird schnell bekannt sein, wer die Betroffenen sind.«
Auf einmal war ich wieder gefasst und hatte einen ganz klaren Kopf. Die praktische Aufgabenstellung lenkte mich von den ganzen auf mich einstürmenden Gefühlen ab. Wir berieten, wohin wir fahren könnten.
»In Frankreich, nicht so weit von der Grenze entfernt, gibt es ein Nonnenkloster. Die sind sehr verschwiegen, da wird nichts hinausgelangen«, sagte Michael. »Aber ich war schon länger nicht mehr dort, insofern …«, verwarf er seinen Gedanken gleich wieder.
Aber sofort fiel ihm eine Alternative ein. »Wie wäre es mit Sankt Matthias in Trier, bei den Benediktinern?«
Wir nickten, der Ort sagte uns etwas. Michael rief sofort dort an, erreichte aber niemanden. Zwischendurch klopfte meine Mutter an, um zu fragen, ob wir etwas essen wollten. Ich erklärte ihr, dass ich weder etwas essen konnte noch wollte. Ihr hochroter Kopf verriet, dass auch sie unter Schock stand.
Michael überlegte mittlerweile für sich allein und murmelte vor sich hin. »Der Markus Weiss in der Eifel …«
»Pfarrer Markus Weiss?«, fragte ich erstaunt. »Der in Sankt Thomas?«
»Kennt ihr den?«
»Na klar! Der hat uns doch getraut.«
Schon wieder einer dieser seltsamen Zufälle. Ralf rief Markus, unseren Traupfarrer, an und hinterließ ihm eine Nachricht auf der Mailbox.
Wir entschlossen uns dann, nach Hause zu fahren, um unsere Sachen zu packen. Meine Mutter drückte mir noch schnell einen Korb in die Hand, der bis oben mit Essen gefüllt war.
»Im Kloster gibt es doch nichts«, waren ihre Worte. Wäre die ganze Situation nicht so dramatisch gewesen, hätten wir uns über
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