Übernachtung - Frühstück ausgeschlossen
einer Party oder einem Tanz kam; statt dessen konnte ihr Begleiter irgendein anderer ihrer Verehrer sein, und diese Unstetigkeit paßte nicht zu ihr. Die romantische Freundschaft mit Joe Hinds schien in die Brüche gegangen zu sein; die beiden sprachen zwar noch miteinander, wenn sie sich zufällig begegneten, aber sie achteten beide sehr auf Distanz. Das betrübte uns, weil wir uns auf eine große Verlobungsfeier gefreut hatten. Noch schlimmer war jedoch, daß Pat Harden, der neu in unserer Gegend war, der augenblickliche Favorit zu sein schien. Er war nicht unsympathisch, und die Männer sagten, er führe die große Farm, die er zu verwalten hatte, ganz erstklassig, aber wir hatten trotzdem den Eindruck, Miranda sei bei Joe besser aufgehoben.
Obwohl Tony diese Entwicklung Larry und mir gegenüber laut beklagte, wagte nicht einmal sie, unaufgefordert mit Miranda darüber zu sprechen. Plumpe Vertraulichkeit war bei ihr unter keinen Umständen angebracht, denn wir alle respektierten ihre ruhige Würde. Aber warum weigerte sie sich plötzlich, Joes wahre Qualitäten zu erkennen, und ließ sich statt dessen von Pats etwas großspuriger, gönnerhafter Zuneigung umgarnen?
Da Tony nicht an diesem Drama teilhaben durfte, mußte sie sich auf Annette Norths trauriges Los konzentrieren. »Sie schreibt mir oft, aber sie muß die Briefe verstecken, weil ihr Vater so neugierig ist und sich sofort einbilden würde, irgendein junger Mann warte nur darauf, sich auf seine Tochter stürzen zu können. Ich habe das sichere Gefühl, daß wir Annette nie wiedersehen werden.«
»Da deine Gefühle etwa so zuverlässig wie die Larrys sind, kann sie jeden Tag hier aufkreuzen«, antwortete ich.
Schon am nächsten Tag bekam ich zu meiner Überraschung einen Brief von Mrs. North, in dem sie mir mitteilte, Annette werde die Schule verlassen. »Sie kränkelt seit einigen Wochen«, schrieb ihre Mutter, »und der Arzt hat ihr eine Luftveränderung empfohlen, wobei wir natürlich sofort an Sie gedacht haben. Glauben Sie, daß Sie unsere Annette für einige Zeit als Gast bei sich aufnehmen könnten, Mrs. Russell? Ich weiß, daß Sie eigentlich nicht darauf eingerichtet sind, aber vielleicht können Sie bei Annette eine Ausnahme machen. Sie spricht so begeistert von den zwei Wochen in Ihrer Gegend, und der Arzt ist ebenfalls sehr dafür. Sie würde Ihnen selbstverständlich im Haushalt helfen, und Mr. North ist natürlich bereit, den geforderten Preis für ihren Aufenthalt zu zahlen. Sprechen Sie bitte auch mit Mrs. Lee darüber — vielleicht sieht sie eine Möglichkeit, wenn Sie nicht können.«
Papa North schien ihr den Brief diktiert oder ihn zumindest abgesegnet zu haben, denn er hatte auf den Rand gekritzelt: »Sagen Sie bitte ja, ich mache mir solche Sorgen um das Mädchen.«
Als Larry und Tony am nächsten Tag zufällig gemeinsam bei mir aufkreuzten, zeigte ich ihnen Mrs. Norths Brief. »Ich komme mir wie ein Schuft vor, aber ich werde ablehnen«, erklärte ich ihnen. »Ich kann nicht anfangen, solche Gäste bei uns aufzunehmen, auch wenn wir das Geld brauchen könnten. Damit wäre Paul auf keinen Fall einverstanden, Sam wohl auch nicht, Larry?«
Larry schüttelte den Kopf, aber bevor sie sprechen konnte, rief Tony impulsiv aus: »Susan, ich tu’s! Ich nehme Annette bei mir auf, meine ich. Sie braucht natürlich nichts zu bezahlen, sondern ich lade sie ein, mich zu besuchen. Wir haben uns sehr gut verstanden, und ich würde mich freuen, wenn sie ein paar Wochen zu mir käme.«
»Aber was wird Peter dazu sagen?« fragten wir im Chor, und ich fügte hinzu: »Wie willst du ihm beibringen, daß Annette vielleicht für ein paar Wochen bei euch bleiben wird?«
»Oh, davon rede ich zunächst überhaupt nicht«, sagte Tony lachend. »Außerdem versteht Peter sich so gut mit Annette, daß ich mir in dieser Beziehung keine Sorgen mache. Ich freue mich schon auf ihren Besuch! Und wißt ihr, was ich mir vorgenommen habe? Ich werde dafür sorgen, daß Annette ein paar nette junge Leute kennenlernt, damit sie endlich ein normales Leben führen kann.« Sie nickte Larry mit Verschwörermiene zu und sah dann zu mir herüber.
Aber das ging mich nichts an. Ich fürchtete, daß Peter die Anwesenheit einer Fremden in seinem Haus als Zumutung empfinden werde, aber Larry und ich konnten Annette gelegentlich zu uns einladen, und sie würde vielleicht nicht allzu lange bleiben. Vielleicht hatte Annette das Landleben schon nach drei, vier Wochen satt und
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