Überraschung kommt selten allein
Alfie. Tony erzählte von der Hochzeit seiner Exfrau. Er sagte, das Ganze habe ihm ziemlich zu schaffen gemacht. Lydia habe jemanden gefunden, den sie von ganzem Herzen liebte, und der Glückspilz sei wohl auch ganz in Ordnung, selbst wenn er einen komischen Schuhgeschmack habe. Erst als sie mit dem Essen fertig waren, erwähnte Tony Alfie.
»Tut mir leid, dass ich das über Kittys Bruder sagen muss, aber der Typ ist ein totales Schwein. Um es mit den unsterblichen Worten der Swinging Blue Jeans zu sagen: ›He’s no good, he’s no good …‹« Tony machte eine dramatische Pause. »›… Baby, he’s no good.‹«
»Das sage ich mir auch immer wieder.« Hannah lächelte kläglich. »Aber es scheint nicht zu helfen.«
»Ich weiß«, sagte Tony, »doch mit der Zeit wird es das. Sag es dir nur immer wieder. Du bist absolut klasse, Hannah Granger, und du verdienst nur das Beste.«
Hannah umarmte ihn schnell ganz fest, dann verließ sie das Restaurant, bevor er sehen konnte, dass sie weinte.
Und das war auch so eine Sache. Sie hasste sich dafür, dass sie andauernd weinen musste, als hätte man ihr ein emotionales Abführmittel eingeflößt. Sie weinte sonst nie . Und sie hasste sich dafür, dass sie so viel Zeit mit Wut und Trauer und Gedanken an ihn verschwendete.
Ein Teil des Problems war, dass die beiden Menschen, bei denen sie sich normalerweise ausheulen würde, nicht mehr zur Verfügung standen. Harrisons Verhalten war weiterhin seltsam und ausgesprochen verletzend. Er hatte ihr eine Karte geschickt und geschrieben, es tue ihm leid, dass er so abrupt gegangen sei, jedoch nicht erklärt, warum er gegangen war. Er hatte ihr auch sein Beileid über den Tod ihres Großvaters ausgesprochen, was nett war, allerdings hatte er sonst nichts dazugeschrieben. Sie schickte ihm nach dem Desaster mit Alfie eine E-Mail, dass sie sich getrennt hätten und sie ihn gerne sehen würde. Die Antwort waren ein paar Zeilen, in denen er ihr mitteilte, dass er im Augenblick noch einen Zeitarbeitsjob habe, aber in wenigen Wochen schon eine neue Stelle bei Environmental Watch antrete, wofür er noch schrecklich viel lesen müsse. Hannah hatte sofort nach dem Telefon gegriffen, es dann aber langsam wieder weggelegt. Aus irgendeinem Grund, den sie nicht verstand, wollte Harrison sie nicht mehr sehen. Ihn mit Anrufen zu nerven wäre nicht nur erniedrigend, es würde ihr wahrscheinlich auch noch seine Verachtung eintragen. Und das war etwas, das Hannah nicht ertragen konnte.
Hilfe von Kitty war inzwischen gleichermaßen indiskutabel. Sie war, wie Hannah sehen konnte, in einer entsetzlich schwierigen Lage. Kitty war stinksauer auf Alfie und hatte Hannahs Entschluss, ihn rauszuschmeißen, voll unterstützt. Sie war von Anfang an freundlich und sensibel gewesen und hatte Hannah versichert, dass sie überhaupt nichts dagegen habe, jederzeit über den Fehltritt ihres Bruders zu reden. Aber natürlich konnte Hannah das nicht tun, und so mieden sie das Thema schließlich. Und jedes Mal, wenn Kitty ausging oder später von der Arbeit nach Hause kam wie heute Abend, fragte sich Hannah, ob sie sich mit ihrem Bruder traf und ob er ihr seine Version der Geschichte erzählte. Wie war seine Version? Sie würde viel dafür geben, die ehrliche, ungeschminkte Alfie-Version der Geschichte zu kennen. Würde er sagen, sie sei – im Gegensatz zu der märchenhaften Prinzessin Blanche – verwöhnt und egoistisch, nur an ihrer Arbeit interessiert und völlig ohne Sexappeal?
Am schlimmsten war, dass sie, wenn sie allein in der Wohnung war, ihre Zeit mit so törichten Dingen verbrachte, wie auf Alfies Seite bei Facebook zu schauen, was er so machte und mit wem. Das zu akzeptieren fiel ihr am schwersten: Alfie hatte aus der robusten, unabhängigen, ehrgeizigen Hannah eine weinerliche, vor Selbstmitleid zerfließende Frau voller Selbsthass gemacht, die sich langsam tatsächlich fragte, ob sie überhaupt jemals robust, unabhängig und ehrgeizig gewesen war.
Heute Abend zum Beispiel saß sie am Küchentisch, wollte sich für ihre Prüfung am folgenden Morgen vorbereiten und konnte sich kein bisschen konzentrieren.
Sie hörte den Schlüssel in der Tür und klappte schnell den Laptop zu. »Hallo-ho!«, rief Kitty aus dem Flur. Vor dem Alfie-Drama war Kitty einfach hereinspaziert und hatte munter drauflosgeredet. Nach dem Alfie-Drama kam sie herein, warf einen ängstlichen Blick auf Hannah und sagte »Hallo-ho!« mit einer Stimme, in der Hoffnung und Angst
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