Überraschung kommt selten allein
und einen großen Brocken Thunfisch auf die Gabel spießte. »Und warum ist Conrad dir zu Hilfe gekommen? Ich dachte, er hasst dich.«
»Das dachte ich auch. Er sagt, er dachte, ich hasse ihn .«
»Das stimmt doch auch.«
»Nein, das stimmt nicht. Ich habe ihn erst gehasst, als ich dachte, er hasst mich.«
»Also, da hat Conrad recht. Du hast schon die Tendenz, Leute, die du nicht kennst, finster anzuschauen.«
»Habe ich nicht . Das ist so gemein.«
»Doch, hast du. Meistens merkst du es gar nicht. Du begegnest der Welt mit einem finsteren Blick. Ich weiß, dass du es nicht so meinst, aber wenn man dich nicht kennt, kann einen das ziemlich einschüchtern.«
»Ich schaue die Leute nicht finster an. Ich habe Conrad finster angeschaut, weil ich dachte, er will mich loswerden. Er hat mir erzählt, er hat etwas gesagt, weil es so offensichtlich war, dass Melanie mich auf dem Kieker hatte. Er glaubt, dass sie eifersüchtig auf mich ist, obwohl es dafür keinen Grund gibt. Das Gute an der Geschichte ist, dass Conrad und ich uns vertragen haben und von jetzt an Freunde sind und zusammenarbeiten wollen. Wir haben über das Filmfest in Cannes im Herbst geredet, und er hat vorgeschlagen, wir sollten beide fragen, ob wir hinfahren und unser Informationsportal betreuen dürfen. Und ich glaube, das ist das erste Mal, dass mir mein Job echt Spaß machen könnte. Ist es nicht seltsam, dass manche Menschen manchmal ganz anders sind, als man denkt?«
»Ja«, erwiderte Hannah nüchtern. »Das finde ich sehr komisch.« Ihr Großvater war ins Bordell gegangen, ihr Freund entpuppte sich als Lügner und Betrüger, und ihr bester Freund aus Oxford mochte sie urplötzlich nicht mehr. Die Menschen waren wirklich seltsam. Hannah verstand die Welt nicht mehr.
Auch wegen Harrison beschloss Hannah, zwei Wochen später zu Emily Faradays Party zu gehen. Emily hatte nach dem Studium in Oxford in Swindon gearbeitet. Vor Kurzem war sie nach London gezogen, um eine Stelle bei einer großen Zeitung anzutreten. Emily war eine gute Freundin von Harrison – sie hatte in ihrem zweiten Jahr in Oxford mit ihm in einer Wohngemeinschaft gewohnt –, und es war unvorstellbar, dass er nicht da sein würde.
Außerdem merkte Hannah, dass Kitty sich ihretwegen Sorgen machte. Es war an der Zeit, endlich wenigstens so zu tun, als hätte sie sich von Alfies Verrat erholt. Und Hannah mochte Emily; sie freute sich darauf, sie wiederzusehen.
Hannah machte sich schick für die Party. Sie zog ihr schwarzes Wickelkleid an, dazu die Schuhe mit dem Tigermuster, besprühte ihren Hals großzügig mit ihrem besten Parfum und schminkte sich die Augen viel mehr als sonst. Sie kam um neun bei Emily an und freute sich, dass sie die meisten Leute dort kannte. Jemand rief ihren Namen, und sie antwortete: »Bin gleich wieder da!«, denn zuerst wollte sie Harrison finden. Sie bahnte sich einen Weg durch das überfüllte Wohnzimmer in die noch überfülltere Küche.
Harrison stand an der Spüle und entkorkte eine Flasche Wein. Er trug Jeans und ein helles T-Shirt, auf dem in Rot das Konterfei von Britney Spears prangte. Sie kämpfte sich zu ihm durch und sagte: »Hallo, Fremder.«
»Hannah!« Er hielt die Flasche hoch. »Möchtest du was trinken?«
Sie warf einen Blick auf ihr leeres Glas. »Danke.« Sie wich geschickt einem Ellbogen aus und klemmte sich zwischen Harrison und die Spüle. Emilys Küche war nicht groß, und es tummelten sich mindestens fünfzehn Personen darin. »Wie geht es dir?«, fragte sie.
Harrison füllte ihr Glas auf. »Ich kann dich nicht verstehen. Was hast du gesagt?«
»Wie geht es dir?« Hannah nahm das Glas in die linke Hand und rettete es vor der wild gestikulierenden Hand eines anderen Gastes. »Komm, lass uns hier rausgehen«, schlug sie vor und ging, das Glas über den Kopf haltend wie Florence Nightingale ihre Lampe, voraus in die Diele. »Du hast mir gefehlt«, sagte sie. »Ich habe dich seit …«
»Ich weiß. Ich hatte ziemlich viel zu tun. Habe ich dir von dem neuen Job erzählt?«
»Ja. Ja, das hast du.«
»Das mit deinem Großvater tut mir so leid.«
»Danke.« So ging das nicht. Sie musste herausfinden, warum er sich so seltsam verhalten hatte. »Harrison«, begann sie ernst, »ich wollte mit dir reden …«
»Hannah!« Emily stürmte herbei und umarmte erst Hannah und dann Harrison. »Wie schön, in London zu sein bei meinen alten Freunden! Ich war so einsam in Swindon! Ich habe angefangen auf der Straße Selbstgespräche zu
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