Überraschung kommt selten allein
schlechter Geruch, der sich nicht vertreiben ließ, und mit ein bisschen Glück würde ein anderer Skandal diese Journalisten ablenken, die sie nach wie vor verfolgten und ihre Version der Geschichte hören wollten.
In der Zwischenzeit sollte sie die dumme Depression abschütteln, in die sie unerklärlicherweise gefallen war, und anfangen, positiv über ihr Leben zu denken. Und genau deshalb saß sie nun im Arbeitszimmer ihres Mannes, mit einem DIN - A 4-Blatt vor sich und einem Stift in der Hand. Sie griff nach dem Blatt Papier und las, was sie geschrieben hatte:
WARUM BIN ICH GLÜCKLICH
Ich muss nie wieder Irish Stew oder Shepherd’s Pie kochen.
Ich kann The Archers im Radio hören, ohne unterbrochen zu werden.
Ich kann amerikanische Komödien und Wiederholungen von Inspektor Morse und Agatha-Christie-Krimis anschauen.
Ich habe das Bett und die Kissen für mich allein und kann das Licht ausmachen, wann ich will.
Ich kann jede Musik hören, die ich will.
Ich kann Sardinen mit Toast zum Abendbrot essen.
Ich muss überhaupt kein Abendbrot essen.
Ich muss kein warmes Frühstück mehr machen.
Ich kann im Garten bleiben, so lange ich will.
Ich kann endlich einen Hund haben.
Ich kann Christopher und Alberta besuchen, wann ich will.
Ich muss das Haus nicht mehr picobello sauber halten.
Philippa rückte ihre Lesebrille zurecht. Sie war tatsächlich dankbar, dass sie kein Irish Stew oder Shepherd’s Pie mehr kochen musste. Michael hatte die Gerichte geliebt und darauf bestanden, sie mindestens alle zwei Wochen zu essen. Und es war eine Freude, The Archers im Radio hören zu können, ohne dass jemand hereinkam und sagte: »Wie kannst du dir nur diesen Mist anhören. Da passiert doch nie irgendetwas.« Philippa hatte einmal versucht, ihre Lieblingsseifenoper zu verteidigen, indem sie darauf beharrte, dass sehr viel passierte. Emma schlief kurz vor der Hochzeit mit dem Bruder ihres Verlobten, woraus ein erbitterter Kampf um die Vaterschaft des Babys resultierte, das einige Monate später geboren wurde. Ruth erkrankte an Krebs, erholte sich und verließ beinahe David wegen des Kuhhirten. Brian hatte einen unehelichen Sohn und überredete seine Frau, ihn aufzunehmen, als seine Geliebte an Krebs starb. Kathy wurde von ihrem Chef bei Lower Loxley vergewaltigt, Adam verliebte sich in Ian, der Pfarrer verliebte sich in Usha, John starb unter einem Traktor, Fallon verliebte sich in Ed … Sie könnte ewig so weitererzählen, sagte sie, worauf Michael erwiderte, lieber nicht, und sich schnell in sein Arbeitszimmer verzog.
Jetzt konnte sie also The Archers hören, ohne das Radio leiser drehen zu müssen. Das war definitiv ein Vorteil.
Und was das Fernsehen betraf, hatte sie endlich die Macht über die Fernbedienung. Sie musste nicht mehr Newsnight gucken – es war so deprimierend zu sehen, dass Politiker im einundzwanzigsten Jahrhundert genauso doppelzüngig, heuchlerisch und scheinheilig waren wie im zwanzigsten Jahrhundert. (Wie Camus schon so klug beobachtet hatte: Große Männer geben sich nicht mit Politik ab.) Jetzt konnte sie anschauen, was sie wollte, und hatte endlich herausgefunden, warum die Serie Friends so lange so beliebt war. Definitiv noch ein Vorteil.
Und sie schlief besser. Michael war mindestens viermal in der Nacht aufgestanden, um aufs Klo zu gehen, und hatte sie jedes Mal geweckt, wenn er ins Bett zurückkam, weil er die Decke auf seine Seite zerrte. Jetzt hatte sie die Kissen und die Decke für sich und konnte sich wie in einen Kokon darin einwickeln. Ihr Leben war wirklich leicht. Sie konnte essen, was sie wollte und wann sie wollte, sie konnte den ganzen Tag gärtnern und den ganzen Abend fernsehen. Sie konnte die Kinder besuchen fahren, sie konnte sich einen Hund zulegen, sie könnte alles Mögliche tun, was sie noch nie getan hatte.
Deswegen war es absurd, dass sie jetzt, wo sie es den ganzen Tag lang tun konnte, keine Lust verspürte, im Garten zu arbeiten. Jetzt, da sie endlich den Hund haben konnte, den sie schon immer gewollt hatte, interessierte es sie auf einmal nicht mehr. Der Gedanke, alleinige Besitzerin eines Haustiers und verantwortlich für sein Wohlergehen und seine Erziehung zu sein, war viel zu beängstigend. Sie war sich ziemlich sicher, dass ein Hund, den sie erzog, zu der Sorte gehören würde, die den ganzen Tag bellte und den Postboten ins Bein biss. Jetzt, da sie das Haus nicht länger so sauber halten musste, weil Michael es so wollte, merkte sie, dass sie längst
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