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Überraschung kommt selten allein

Überraschung kommt selten allein

Titel: Überraschung kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Holt
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Alberta sich in verletztes Schweigen zurückgezogen.
    Kurz nachdem Christopher und Helen wieder in England waren, waren sie mit ihrem kleinen Sohn übers Wochenende nach Bath gekommen, und Alberta hatte versucht, ihre Bitterkeit und Verwirrung ihnen gegenüber auszudrücken. Christopher hatte ein paar unbeholfene Bemerkungen über Marmas labilen Zustand in der Zeit gemacht und hinzugefügt, Alberta sei immer mit sich selbst beschäftigt gewesen. Alberta erwiderte darauf, das sei ja schön und gut, aber jede normale Mutter wäre nach Hause geeilt, um ihre trauernde Tochter zu trösten. Christopher brummte wieder irgendetwas über Marmas Gesundheit und wurde schließlich wütend und warf seiner Schwester vor, sie sei total ungerecht und lieblos. Alberta wurde ebenfalls wütend, und der Abend endete mit Tränen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Es war der erste richtige Streit, seit Christopher sie völlig zu Recht beschuldigt hatte, sein Taschensolitär geklaut zu haben. Am nächsten Morgen entschuldigten sie sich beide und vereinbarten, das Thema in Zukunft zu meiden.
    Jetzt wusste Alberta natürlich, dass Marmas langes Exil wahrscheinlich eine Folge ihrer unklugen Affäre mit diesem Repton war. Sie erinnerte sich daran, dass Christopher zu ihr gesagt hatte, sie habe kein Recht, über Marma zu richten, weil sie keine Ahnung hatte, in was für einer Verfassung sie damals gewesen sei. Sie hatte, wie sie fand, mit dem sehr vernünftigen Hinweis geantwortet, dass sie natürlich keine Ahnung von Marmas Verfassung haben konnte, da Marma sich nie die Mühe gemacht hatte, ihr etwas zu erzählen.
    Die meisten Geschwister würden vermutlich unter den gegebenen Umständen endlos über die neuesten Enthüllungen reden. Wäre Christopher weniger parteiisch und weniger abgehoben, wäre es möglicherweise leichter. Doch unter diesen Umständen würde Alberta nur über die Presseenthüllungen sprechen, wenn Christopher damit anfing.
    Deswegen ging sie mit gemischten Gefühlen um sieben Uhr an diesem Abend die Treppe hinunter, um sich mit ihren Begleitern in der Diele zu treffen. Gegen ihren Willen musste sie lächeln, als sie Christophers Gesicht sah. Christopher hatte dieselben kleinen Augen und dasselbe schmale Gesicht wie ihr Vater, aber wo ihr Vater Autorität ausgestrahlt hatte, erinnerten Christophers Züge Alberta oft an einen Spatz, der ängstlich nach Futter sucht. Und Christopher aß für sein Leben gern. Heute Abend leuchteten seine Augen vor Vorfreude, und er lächelte glücklich, als er seine Schwester erblickte und sagte: »Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, was ich essen werde. Wollen wir gehen?«
    Während des Spaziergangs zum Restaurant benahm sich Christopher wie ein kleines Kind auf einem Geburtstagsausflug. Er erzählte Alberta, dass sie bereits zweimal in diesem Lokal gewesen seien, und berichtete ganz genau, was sie gegessen hatten. Als sie durch die geheiligte Tür traten, wurden sie sogleich an ihren Tisch geführt, und Alberta sah zu, wie Christopher und Helen über die Speisekarte diskutierten, als wären sie Staatsoberhäupter auf einem internationalen Gipfeltreffen. Schließlich wurde eine Wahl getroffen, und Christopher seufzte vor Vergnügen, schenkte Wein ein und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
    »Ist das nicht schön hier?«, fragte Helen. Sie trug ein sommerliches, grünes Leinenkleid und eine rosafarbene Strickjacke. Helen gehörte zu der Sorte Frauen, die mit zunehmendem Alter immer besser aussahen. Als Alberta sie kennenlernte, war sie dünn und kantig gewesen, und ihre Arme und Beine hatten den Eindruck erweckt, als wären sie zu locker an ihren Körper geschraubt. Sie hatte einen Überbiss – Ed hatte gemeint, sie sehe aus wie das Lieblingspferd seiner Tante – und die Haare zu einem losen Pferdeschwanz zurückgebunden. Anfangs hatte sie sich eindeutig vor Alberta gefürchtet, vielleicht weil Alberta damals ein Selbstvertrauen ausstrahlte, das aus der Liebe eines wunderbaren Ehemannes und einer prachtvollen kleinen Tochter resultierte. Danach sah Alberta sie erst wieder, als sie mit ihrem kleinen Sohn nach England zurückkehrten. Helen war eine ängstliche und nervöse Mutter und sagte mehr als einmal zu Alberta, sie wünschte, sie wäre mehr wie sie.
    Als Alberta jetzt ihre Schwägerin anlächelte, konnte sie nicht umhin zu denken, dass das Schicksal Helen irgendwie für ihre jugendliche Bescheidenheit belohnt und Alberta für ihre gleichermaßen jugendliche Naivität

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