Überraschung kommt selten allein
»stimmt das, was er sagt, oder?«
Christopher und Helen tauschten einen Blick, dann steckten sie sich genau gleichzeitig ein Stück Hühnchen in den Mund. Alberta trank einen Schluck Wein und wartete.
»Grundsätzlich«, sagte Christopher schließlich, »stimmt es. Ich vermute aber, die Details hat Repton nahezu alle erfunden.«
Alberta holte tief Luft. »Ist Marma nach Kanada gefahren, um dir und Helen mit dem Baby zu helfen oder um vor Peter Repton zu fliehen? Oder um vor Pa zu fliehen?«
»Nun«, sagte Christopher sichtlich unbehaglich. »Es könnte sein, dass ihr Entschluss, England zu verlassen, auch eine Art Ausweg war, aber ich glaube, sie wollte sowieso zu uns kommen. Helen war in einem furchtbaren Zustand. Sie hatte während der Geburt viel Blut verloren, Richard wäre beinahe gestorben und sie auch. Beide brauchten Hilfe.«
»Das weiß ich«, versicherte Alberta schnell. »Das bezweifle ich keinen Augenblick. Und ich werde nicht – das verspreche ich – auf Marma losgehen. Ich will nur verstehen, warum sie sich nicht bei mir gemeldet hat, nachdem Ed gestorben war.«
Helen rutschte auf ihrem Sitz herum. »Es ging ihr nicht gut«, murmelte sie und sah ihren Mann an.
»Sie war in einem sehr schlechten Zustand«, sagte Christopher fest. »Ich weiß, dass du das nicht akzeptieren wirst, Alberta, aber es stimmt. Ich bin überzeugt, dass sie einen Nervenzusammenbruch hatte. Und ja, es klingt seltsam, dass sie unter diesen Umständen in der Lage war, sich um ihr Enkelkind zu kümmern, aber ich glaube, so seltsam ist es auch wieder nicht. Mit Babys kannte sie sich aus, mit einem Baby fühlte sie sich sicher, und einem Baby musste sie nichts erklären. Sie wusste nicht, was sie dir sagen sollte, also hat sie gar nichts gesagt. Sie wusste die meiste Zeit auch nicht, was sie zu uns sagen sollte, doch sie wusste immer, was sie zu Richard sagen sollte. Ich weiß, du warst und bist tief verletzt wegen Marmas Schweigen, und das tut mir leid, doch zu der Zeit war sie wirklich nicht in der Verfassung, dir zu helfen, sosehr sie es sich auch gewünscht hätte. Du magst mir glauben oder nicht, aber das ist die Wahrheit.«
»Ich glaube dir«, sagte Alberta. Sie merkte, dass Christopher aufgebracht war, und versuchte, die Stimmung aufzuheitern. »Dieser Repton ist eine Ratte! Tony meinte, er sei nur auf eine schnelle Mark aus, nachdem seine Frau ihn rausgeschmissen hat.«
»Tony«, sagte Christopher sehr bedächtig, »ist ausgesprochen scharfsinnig.«
»Er ist so ein wunderbarer Mann«, seufzte Helen.
»Das ist er«, sagte Alberta leichthin. »Wisst ihr, dass er immer gesagt hat, Richard sollte in die Politik gehen? Glaubt ihr, das könnte passieren?« Sie befand sich wieder auf sicherem Boden. Für den Rest des Essens redeten sie über Richard.
Später, als Christopher ihre Mäntel holte, fasste Helen Alberta am Arm. Schnell flüsterte sie: »Wenn du sie gesehen hättest! Sie hat so viel um dich geweint! Sie hätte ganz Kanada mit ihren Tränen überfluten können!«
Das Sonntagsessen am folgenden Tag war überraschend erfolgreich. Alberta hatte befürchtet, dass ihre Tochter ihr Vorhaltungen machen würde, weil sie zu Hause ausgezogen war, doch Hannah war viel zu wohlerzogen, um in Gegenwart ihrer Tante und ihres Onkels eine Szene zu machen. Die Unterhaltung plätscherte leicht dahin, nicht zuletzt weil Kitty und Helen und Christopher bei jeder Gelegenheit den Braten und den Yorkshire Pudding und vor allem die Soße priesen. Als Christopher seine zweite Portion Zitronentarte verspeiste, hatte Hannah vergessen, dass sie wütend auf ihre Mutter war, und Alberta entspannte sich bei einem zweiten Glas von Christophers ausgezeichnetem Wein.
Kitty war besonders guter Laune. Sie hatte am Freitag erfahren, dass sie zu dem Team gehörte, das im Oktober zur Verleihung der TV Awards nach Cannes fahren durfte.
»Wie schön, dass dir dein Job gefällt«, sagte Alberta. »Ich dachte, du überlegst, dir etwas anderes zu suchen.«
»Im Grunde genommen«, sagte Kitty, »hat sich alles geändert, seit Conrad und ich Freunde sind. Er unterstützt mich, und ich unterstütze ihn, und zusammen sind wir beide stärker geworden. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber die Arbeit macht mir tatsächlich Spaß.«
»Wie schön«, sagte Alberta. Sie hob das Glas an die Lippen und nippte nachdenklich an ihrem Wein. »Ich nehme an, Conrad steht auf dich.«
Hannah verdrehte die Augen. »Ich wusste , dass du das sagst!«
»Tut
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