Übersinnlich
herauszufinden, wo man Melissa hingebracht hatte. Da Armand den Coven schon eine Weile beobachtete, immer in der Hoffnung, Lilly und Joanna doch noch befreien zu können, kannte er die Mitglieder und wusste von den meisten auch, wo sie ihr bürgerliches Leben führten. Margret Crest würde das Kind nicht bei sich behalten wollen, also war es anzunehmen, dass sie es in die Obhut einer ihr nahestehenden Priesterin gab. Nach Joannas „Verrat“ stand ihr niemand näher als ihre eigene Tochter – Serena Carter.
Schon bei seinem ersten Besuch konnte Armand einen Blick auf Melissa werfen. Eine rührselige Geschichte über eine entfernte Verwandte, die an Krebs gestorben war, und gefälschte Papiere einer Adoption waren von langer Hand vorbereitet. Crest hatte nie vorgehabt, das Kind zu töten. Im Gegenteil. Was ihr bei Joanna misslungen war – nämlich, sie zu ihrer Nachfolgerin auszubilden – wollte sie jetzt bei Melissa nachholen. Aber Armand hatte keinen Grund gesehen, Franklin damit Hoffnung zu machen. Die Möglichkeit, dass sie Melissa doch tötete, wenn sie ihr Potenzial als zu gefährlich befand oder das Kind sich einfach nicht ihren Wünschen – und Tränken – beugte, war immer noch groß. Außerdem würde Franklin keine Dummheiten machen, solange er nicht sicher war, ob seine Tochter noch lebte.
Über sein Gespräch mit Carl hatte er sich nicht äußern wollen. Armand konnte sich denken, warum. Er mochte den Ashera-Vater nicht. Er war ein Mensch, doch sein Herz war kälter als das der meisten Vampire. Aber das sollte nicht seine Sorge sein. Jetzt ging es um die Erbin seines Blutes.
Serena! Eine bessere Wahl hätte Margret nicht treffen können. Armand triumphierte innerlich. Ohne es zu wissen, spielte sie damit ihren Gegnern in die Hände. Serena war eine echte Freundin für Joanna gewesen. Die Ashera-Tochter hatte ihr die Augen geöffnet, ihr gutes Herz wieder zum Leben erweckt und sie von den falschen Lehren der Hohepriesterin befreit. Natürlich war sie zu schwach, um sich offen gegen Margret zu stellen und Joanna und Lilly zu befreien, doch vielleicht gelang es Armand gerade deshalb, an ihr Gewissen zu appellieren. Mit ihrer Hilfe standen die Chancen gut, Melissa in den Orden zurückzubringen und vielleicht war dort auch ein Platz für Serena. Die Ashera würde beide vor den Roten Priesterinnen beschützen. Zunächst galt es jedoch, sich in Geduld zu üben. Solange Serenas Mann ebenfalls im Haus war, wagte Armand keinen Besuch. Er konnte ihn nicht einschätzen und wollte nicht riskieren, ihn töten zu müssen, wenn er ihm in die Quere kam. Das hätte zu viel Staub aufgewirbelt und Serenas Vertrauen ihm gegenüber von vornherein zunichtegemacht. Er wartete also darauf, dass Mr. Carter auf Geschäftsreise ging. Oder auf die dunkle Jahreszeit, wenn er erst nach Einbruch der Nacht nach Hause kam.
Nach fast drei Monaten geduldigen Wartens wurde Armand endlich belohnt. Er hatte in dieser Zeit nur selten im Ashera-Mutterhaus Gorlem Manor vorbeigeschaut, damit Franklin ihm nicht anmerkte, wie viel er wirklich von Melissas Verbleib wusste. Heute Abend verabschiedete Serena ihren Mann just in dem Moment, als Armand ankam. Er hörte noch, wie sie ihm viel Erfolg bei dem Geschäftsessen wünschte und dass er antwortete, sie solle nicht auf ihn warten, da er erst spät zurückkommen würde. Er wartete, bis die Lichter des Wagens außer Sicht gerieten, und klopfte an die Haustür. Die recht laute Klingel hätte womöglich das Kind geweckt, weshalb er sich dagegen entschied, sie zu benutzen. Es dauerte keine Minute, bis Serena Carter erschien und ihn sichtlich verwundert musterte.
„Guten Abend, Serena. Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich würde gerne mit Ihnen sprechen.“
Sie zögerte. „Wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht.“
„Sie haben nichts zu befürchten, das versichere ich Ihnen. Ich bin ein Freund von Joanna Ravenwood.“
Serena wurde blass. Sie schluckte, öffnete aber die Tür und bat Armand herein. Er registrierte ihr Zittern. Ob sie spürte, was er war? Ihr Blick glitt zu einer geschlossenen Tür. Sicher Melissas Zimmer.
„Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen. Daher werde ich Ihnen direkt den Grund meines Besuches nennen. Ich weiß, dass Joanna und ihre Freundin Lilly verbrannt wurden. Auch, dass die Mörderin Ihre Mutter war.“
Nun gaben Serena endgültig die Beine nach und sie sank auf einen Sessel. „Sind Sie … etwa gekommen, um …“
Er schüttelte den Kopf, als
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