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Übersinnlich

Übersinnlich

Titel: Übersinnlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Carpenter , Britta Strauss , Kerstin Dirks , Helene Henke , Tanya Carpenter
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erfühlten seine Launen und vereinten sich auf einer Ebene mit ihm, wie es keine noch so hochgelobte Technik vermochte. Die Farbe des Wassers, die Form der Wellen und Wolken, der Geruch und das Gefühl in der Luft, all das war voller Geschichten und Geheimnisse. Wo andere eine Wüste aus Wasser sahen, sah ich wie damals mein Vater tausend Dinge.
    Was mich natürlich nicht davor bewahrt hatte, einen Kutter an die drei Schwestern zu verlieren. Aber das war Dummheit gewesen. Dummheit und Trotz gegenüber einer Pechsträhne, die jeden Fischer irgendwann einmal erwischte.
    Schon, als die Winde das Netz wieder herauszog, wusste ich, dass mein Gespür mir diesmal nichts eingebracht hatte. Ein paar mickrige Heringe zappelten im Netz und landeten im Bauch des Kutters, vermischt mit ein paar kleinen Schollen und Sprotten. Ich erlaubte mir keine Enttäuschung, wenigstens noch nicht, denn der Tag war noch lang und das Wetter für schottische Verhältnisse gut.
    Doch mein Optimismus wurde nicht belohnt. Die Stunden vergingen, ohne mir Glück zu bringen. Als es zu dämmern begann, war der Bauch meiner
Destiny
nicht einmal zur Hälfte mit Fisch und Eis gefüllt. Ich fühlte mich leer. Nur ein Quäntchen Hoffnung war übrig geblieben. Ein letztes Mal, sagte ich mir. Nur noch ein Mal. Wer weiß, was es dir bringt.
    Wieder brachte ich das Netz aus. Kraftlos über dem Steuerrad kauernd erinnerte ich mich an die alten Sagen, die man sich im Dorf erzählte. Wie man das Meervolk besänftigte. Wie man die Wellen beruhigte und Fische besang.
    Weder besaß ich Aquamarine noch Spiegel oder Kämme, um sie als Geschenk in das Wasser zu werfen. Weder Silber noch Edelsteine. Man sagte, es sei für jeden verzweifelten Fischer hilfreich, seine Tränen in das Meer zu vergießen und dabei die Worte „mein Salz und das der See sei eins“ zu flüstern.
    Tränen hatte ich keine, doch eine schöne Stimme. Ich hörte mich summen, irgendeine Melodie, und lachte über mich selbst. Was brachte es schon ein, an abergläubischem Seemannsgarn festzuhalten?
    „Oh, das Indigo in deinen Tiefen. Du salziges, ewiges Blau.“
    Einfach nur Worte, die mir angesichts der erhabenen Weite der See in den Sinn kamen. Vertonte Gefühle. Sie stiegen irgendwo aus der Tiefe meines trüben Geistes auf. „Wie du mich rufst und für mich singst. Wie du meine Seele berührst, wenn Sonne und Mond auf deinen Wellen schimmern.“
    Dunkelheit senkte sich herab, der Himmel schüttelte seine Wolken ab und zeigte sein schönstes, dunkelblaues Kleid. Ich schaltete die Lampen an und begann, meinen Fang einzuholen. Sterne glommen auf, über dem Horizont schwebte eine safrangelbe Mondsichel. Was für eine schöne Nacht. Ob sie mir auch Glück brachte, würde sich gleich zeigen.
    Und tatsächlich! Als ich das Netz heraufholte, glaubte ich, meinen Sinnen nicht zu trauen. Die Winde ächzte und bog sich, der Kutter knarzte. Ich hörte das Wasser kochen, aufgewühlt von zahllosen Leibern. Eine Flut aus silbernem Glitzern im fahlen Schein der Nacht. So viele Fische! Prächtige, große Lachse, unzählige Heringe und Sprotten. Als ich das Netz in den Bootsbauch entleerte, sah ich sogar Seezungen in der wimmelnden Menge. Eine der kostbarsten Fischarten. Meine Knie zitterten vor Erregung, nur fern ließ ich den Gedanken an mich heran, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Niemand fing Lachse mit einem solchen Netz. Niemandem konnte gelingen, was mir soeben gelungen war.
    Sei es drum. Der Bauch des Kutters war gefüllt, es konnte nach Hause gehen.

    Bleischwer vor Müdigkeit, die Taschen mit Geld gefüllt, stapfte ich durch den Kiefernwald, der entlang der Klippen wuchs. Wie immer verharrte ich vor den Grabsteinen, die im Schatten der Bäume hoch über dem Meer dahindämmerten, dachte an meine Großeltern, die beide auf See geblieben waren, und fand es zum ersten Mal seltsam, vor einem leeren Grab zu stehen.
    Lucy und Henry waren sich in ihren letzten Jahren so ähnlich gewesen, innerlich wie äußerlich. Von hinten hatte man sie gar nicht unterscheiden können und von vorn nur auf den zweiten Blick. Zwei vom Alter gezeichnete Wesen, knorrig und stur wie die Kiefern, die den Stürmen trotzten, vernarrt in das Meer und in ihre Arbeit. Zusammen waren sie mit ihrem Kutter untergegangen, und jedes Mal, wenn ich daran dachte, wünschte ich mir dasselbe Ende. Was gab es Natürlicheres, als eins zu werden mit dem Kreislauf des Ozeans? Zusammen mit der Frau, der man auf ewig verbunden war? Ich

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