Überwachtes Netz
Verweis auf hochgespielte Gefahren möglichst viele »unserer Kommunikationsdaten« gespeichert und systematisch ausgewertet würden: »Jedes Detail unseres persönlichen Lebens wird zum Eigentum der Verwaltung erklärt und jahrelang in geheimen Dossiers aufbewahrt.« Parallel werde die Sicherheit im Internet massiv unterwandert. Die NSA nutze das »Drehbuch der Stasi« bewusst, so der Hinweisgeber, um die eigene Bevölkerung und die von Drittstaaten auszuspähen [3] .
Dies gefährdet die Demokratie in mehrfacher Weise. Zum einen wird die Meinungs-, Presse- und Koalitionsfreiheit durch die anlasslose Überwachung unserer Kommunikation unterwandert, weil ein »diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins« zu Duckmäusertum führen und »eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann«. So formulierte es das Verfassungsgericht 2010 [4] . Zum anderen wird das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert, wenn nicht gar zerstört. »Verfassungspatriotismus« als identitätsstiftendes Element der Bundesrepublikaner, wie Jürgen Habermas es in den 80ern formulierte, hätte ausgedient, wenn sich die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaats zwar noch auf das Verteilen von Knöllchen für Falschparker, nicht aber mehr auf die Durchsetzung unserer Grundrechte erstreckte.
In der NSA-Affäre gerät derweil die Pressefreiheit massiv unter Druck: So verlangte und beaufsichtigte der britische Geheimdienst GCHQ, das Pendant zur National Security Agency im Vereinigten Königreich, beim »Guardian« im Juni die Zerstörung von Festplatten mit den Dokumenten Snowdens. Der Chefredakteur der Zeitung, Alan Rusbridger, warnte, dass die totale Überwachung eine grundsätzliche Gefahr für den Journalismus sei. Den Partner des Snowden-Vertrauten und Guardian-Autors Glenn Greenwald, David Miranda, hielten die Sicherheitsbehörden im August ferner neun Stunden am Flughafen fest und beschlagnahmten seine Computerausrüstung bei einem Zwischenstopp in London. Auch hier ist das Ziel des Einschüchterns der »4. Gewalt« unübersehbar.
Und ganz allgemein entsteht für Unternehmer/innen, Beschäftigte und Bürger/innen ein hohes Maß an Verunsicherung, welche Kommunikationskanäle sie noch sicher nutzen können. Wir müssen Antworten finden auf die Fragen, wie angesichts der bekannt gewordenen umfassenden Internetschnüffelei Wirtschaftsspionage verhindert sowie Arbeitnehmerdatenschutz und Koalitionsfreiheit verwirklicht werden können. Und wie die hochgradig vernetzten öffentlichen Verwaltungen in Bund, Ländern und Gemeinden sowohl untereinander als auch mit Bürger/innen und Unternehmen Daten austauschen können, ohne Gefahr zu laufen, dass diese überwacht oder gar manipuliert werden. Gleiches gilt insbesondere für den Gesundheits- und Bankensektor, aber auch etwa für den gesamten Bereich von Produktion und Dienstleistung.
Die Gefahr der digitalen Totalüberwachung ist nicht mehr Fiktion, sie ist bereits Realität. Und sie geht nicht nur von Geheimdiensten aus. Snowdens Enthüllungen haben gezeigt, wie verletzlich unsere IT-Infrastrukturen sind. Bisher hat die Politik sich nicht ihrer Verantwortung gestellt, klare gesetzliche Rahmenbedingungen für die Online-Welt zu schaffen, die sich an den Grundrechten und am Verbraucher- und Datenschutz orientieren. Im Gegenteil, das Bundesinnenministerium etwa setzt seit Jahren bei Facebook & Co sowie beim Sichern der Privatsphäre gegenüber der Wirtschaft allgemein vor allem auf nebulöse Selbstverpflichtungserklärungen. Im Lichte der NSA-Affäre forderte Innenminister Hans-Peter Friedrich nicht etwa Aufklärung und Folgen von der US-Regierung, sondern verkündete ein vermeintliches »Supergrundrecht Scherheit «. Damit zeichnet sich das politische Ziel ab, Freiheitsrechte zu verschlechtern, statt sie zu stärken [5] .
Schockwellen des NSA-Skandals
Aktuell wird in Unternehmen und Verwaltungen diskutiert, welche Hard- und Software einigermaßen Schutz vor Ausspähung bietet. Damit verknüpft ist die Frage, ob Produkte von Microsoft und Apple noch tragbar sind, wie es in dieser Hinsicht um die Hersteller aus dem asiatischen Raum bestellt ist und ob freie sowie quelloffene Technik nicht Standard sein sollte. Unklar erscheint vielen, welche ausländischen Online- und IT-Dienstleister man noch nutzen kann, wenn diese zur Herausgabe der Daten an ihre jeweiligen Geheimdienste angehalten werden können und letztere möglicherweise sogar Gesetzgebungen
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