Ufer des Verlangens (German Edition)
dass sie fast gar nicht mehr zu sehen waren. Nun passte auch das Hemd.
Ein abgelegtes Wams hatte sie ebenfalls aus der Kleidertruhe ihres Vaters entwendet. Sie zog es über und verschloss es mit der Schließe, die sie schon einmal hier in der Hand gehalten und später in Joans Schlafzimmer wieder gefunden hatte.
Zelda warf einen letzten Blick in den Spiegel des Sees und war zufrieden. Nun sah sie aus wie ein junger Lord auf Reisen … Zugegeben, wohl eher wie ein verarmter junger Lord, der die Kleidung seiner älteren Brüder auftragen musste, aber alles in allem war Zelda zufrieden.
Sie machte sich nicht die Mühe, das Ufer des Verlangens nach eventuellen Spuren der beiden Fliehenden abzusuchen; sie wusste, dass sie hier nichts finden würde.
Also stieg sie auf ihr Pferd, sah noch einmal in die Runde, als würde sie Abschied nehmen. Ihr Blick fiel auf eine Stelle, in der die Wiese in den Wald überging.
Genau dort hatte sie mit Ian gelegen. Wenn sie nicht alles täuschte, so waren noch immer die Abdrücke ihrer beider Körper im niedergedrückten Gras zu sehen.
Zelda zischte voller Zorn, dann gab sie Rose die Sporen und hatte bald darauf den Weg nach Dundee erreicht.
Die Sonne stand inzwischen schon hoch am Himmel. Es war ein ungewöhnlich heißer Tag für die Highlands, und Zelda schwitzte unter ihrem Verband und dem Barett.
Es hatte lange nicht mehr geregnet, und der Weg war ausgetrocknet und staubig. Zwei schmale Rinnen von Lastkarren und Kutschen hatten sich tief in den ausgefahrenen Lehm gefressen. Zelda musste aufpassen, dass Rose nicht ins Straucheln kam.
Eine Weile ritt sie allein, kam an Feldern vorüber, auf denen die Saat allmählich spross. In der Ferne sah sieDörfer mit kleinen, geduckten Katen, die sich eng an die Hänge kauerten. Vieh graste auf den Weiden und sah ihr mit tumbem Blick nach, weiß gekalkte Herrenhäuser der Gutsbesitzer strahlten in der Sonne. Am Horizont ragten die Berge der Highlands auf, teils von sattem Grün bedeckt, teils von kargen Steinen und Felsbrocken durchzogen.
Als die Mittagszeit schon fast vorüber war, machte sie Rast. Sie führte Rose an einen kleinen Bach, dann setzte sie sich in den Schatten eines Baumes und machte sich über ihren Proviant her.
Mit Genuss aß sie zwei kleine Käse, die die Köchin aus der Milch der Schafe gemacht hatte, dazu ein wenig Brot und einen Apfel.
Ein Mönch kam des Weges, wünschte ihr Gottes Segen und setzte sich zu ihr.
»Na, junger Lord, wohin des Weges?«, fragte er.
Zelda freute sich, dass ihre Verkleidung dem Anschein nach nicht zu durchschauen war, und antwortete mit besonders tiefer Stimme: »Nach Dundee will ich, guter Mann. Habe meine Begleiter verloren. Seid Ihr vielleicht einem Mann und einer blonden, blassen Frau auf nur einem Pferd begegnet?«
Der Mönch schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Ein Mann und eine Frau auf nur einem Pferd? «? fragte er ein wenig argwöhnisch. »Ihr seht nicht aus, als müsstet Ihr jeden Penny zweimal herumdrehen. Warum spart Ihr dann an den Pferden?«
Zelda wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Der Mönch hatte selbstverständlich Recht. Welche Lordschaft reiste schon zu zweit auf einem Pferd?
»Nun, wir mussten das andere Pferd in einer Herberge zurücklassen, versteht Ihr?«, erklärte Zelda einwenig stockend. »Es lahmte plötzlich, hat sich wohl den Huf vertreten.«
»Den Huf vertreten, soso«, machte der Mönch und lächelte. Dann beugte er sich vertraulich ein Stück zu Zelda und sprach weiter: »Haltet mich nicht für dumm, junger Lord. Ich bin zwar ein Mann der Kirche, aber die weltlichen Dinge sind mir nicht fremd. Entführt werdet Ihr das Mädchen haben, so glaube ich, um es nach Frankreich oder Genua zu verkaufen.«
Zelda erschrak, doch der Mönch sah ganz friedlich aus.
»Warum sollten wir so etwas tun?«, fragte sie mit aller Unschuld, zu der sie fähig war.
Der Mönch lachte. »Der Rosenkrieg, der bis vor zwei Jahren in England und Schottland getobt hat, hat viele Manors in den Ruin gestürzt. Es gibt nicht wenige Edel-leute, die durch diesen Krieg um den Thron ihr Hab und Gut verloren haben. Nun, auch sie müssen sehen, wo sie nun bleib en.«
»Der Rosenkrieg?«, fragte Zelda begriffsstutzig. »Meint Ihr den Krieg zwischen den Häusern Lancaster und York um die englische Krone?«
»Genau den!«, erwiderte der Mönch.
Zelda lachte.
»Was haben wir Schotten denn mit dem Krieg um den englischen Thron zu schaffen?«, fragte sie mit allem Hochmut, zu
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