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Ufer des Verlangens (German Edition)

Ufer des Verlangens (German Edition)

Titel: Ufer des Verlangens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Hamilton
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Gewissen dabei, sich den Dolch zu nehmen. Fast kam es ihr wie Diebstahl vor, doch dann tröstete sie sich.
    »Ich leihe ihn mir nur aus«, flüsterte sie entschuldigend. »Sobald ich Joan gefunden habe und wir wieder zu Hause sind, gebe ich ihn Vater zurück.«
    Mit dem Daumen strich sie vorsichtig über die scharfe Klinge, dann nickte sie zufrieden, schob den Dolch in das Lederfutteral und verbarg ihren Schatz, genau wie es die Männer taten, in ihrem hohen Stiefel aus weichem Leder. Auch Zeldas Stiefel waren keinausgesprochen weibliches Schuhwerk. Sie hatte hart kämpfen müssen, bis der alte Lord McLain ihr erlaubt hatte, sich dieses Paar anfertigen zu lassen. Allein der Hinweis darauf, dass sie als Erbberechtigte einen Überblick über den Besitz haben musste und dieser nur mit einem Pferd zu erhalten war, hatte ihn schließlich umgestimmt.
    Zelda lächelte ein wenig, als sie daran denken musste. Sie strich behutsam über das weiche Leder, das nach Fett roch, fühlte von außen den Dolch, dann verließ sie genauso still und heimlich, wie sie es betreten hatte, das Gemach des alten Lords, schnappte sich ihre beiden Satteltaschen und ging nach unten in die Halle.
    Beim Anblick ihres Vaters wurde ihr Herz schwer. Noch immer saß der sonst so lebendige Mann reglos auf der gepolsterten Wandbank. Seine Schultern hingen müde herab, sein Gesicht hatte jede Frische verloren. Er starrte ins Leere, und der Ausdruck seiner Augen war von stiller Verzweiflung und Trauer erfüllt.
    Zelda verharrte einen Augenblick am Fuß der Treppe. Nein, dachte sie. Ich werde Vater nichts davon sagen, dass ich nach Dundee reite. Er würde sich nur unnötig Sorgen machen. Höchstwahrscheinlich würde er mir diese Reise sogar verbieten. Aber ich muss dorthin. Es gibt keine andere Lösung.
    Sie stellte die beiden Satteltaschen ein wenig abseits an die Wand, damit der alte Lord keinen Verdacht über eine länger dauernde Abwesenheit Zeldas schöpfte, dann ging sie zu ihm.
    »Ich reite los, Vater«, sagte sie.
    Der alte Lord hob den Kopf. Er nickte müde, fasste nach ihrer Hand: »Gott schütze dich, mein Kind. Pass gut auf dich auf.«
    »Ja, Vater«, versprach Zelda. »Gott schütze auch dich und alle anderen hier.«
    Sie beugte sich herunter und küsste den alten Mann auf die sonst so glatt geschabte, heute aber stoppelige Wange. »Es wird alles gut. Du wirst sehen.«
    Lord McLain rang sich ein Lächeln ab, dann ließ er Zelda los und versank wieder in dumpfes Brüten.
    Von ihm unbemerkt, nahm Zelda die beiden Satteltaschen auf und verließ die Halle.
    Im Hof traf sie auf Walther, der gerade von den Kingsleys zurückgekehrt war.
    »Und?«, fragte Zelda. »Was sagen die Kingsleys? Beteiligen sie sich an der Suche?«
    Walther nickte erschöpft und klopfte seinem Pferd den verschwitzten Hals.
    »Ja. Lord Thomas hat sofort einige Leute zusammengetrommelt, die nun den Norden absuchen. Nur eines war merkwürdig.«
    Zelda kam näher. »Was denn? Erzähle, Walther!«
    »Lord Allistair.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Nun, er wirkte sehr aufgeräumt, als ich von Joans Flucht berichtete. Fast hatte es den Anschein, als freute er sich über diese Nachricht. Er war bester Stimmung, als er mit seinen Leuten schließlich gen Norden ritt.«
    »Und was findest du daran merkwürdig?«, fragte Zelda und zog die Augenbrauen ein Stück in die Höhe.
    Walther kratzte sich nachdenklich am Kinn, dann hob er die Achseln: »Seine gute Laune. Lord Thomas und die anderen von Kingsley-Manors wirkten eher bestürzt. Nur Allistair nicht.«
    Zelda winkte ab. »Vielleicht hofft er, dass durch Joans Flucht unsere Verlobung aufgeschoben wird. Ichhabe nicht den Eindruck, dass er sich nach einer Ehe mit mir drängt. Gut möglich, dass es die Galgenfrist ist, die seine Laune hebt.«
    Sie lachte, aber es war kein frohes Lachen. Dann ließ sie sich von Walther die Satteltaschen abnehmen und Rose aus dem Stall führen.
    Wenig später ritt sie davon, versehen mit allen guten Wünschen von Walther und der Amme Margaret, die heute scheinbar nichts anderes tat, als unter der Küchentür zu stehen und in die Ferne zu schauen, als könnte allein die Kraft ihrer Gedanken Joan herbeizaubern.

5. Kapitel
    Wie immer ritt Zelda brav und züchtig, solange man sie vom Gutshaus aus sehen konnte. Dann warf sie sich rittlings über den Leib ihrer Stute und preschte davon, als wären alle Teufel der Hölle hinter ihr her.
    Am See hielt sie an, band Rose an den Baum und blickte sich um. Still und stumm

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