Ufer des Verlangens (German Edition)
lagen See und Wald im Schein der Sonne. Kein Mensch war zu sehen, kein Tier weit und breit. Nur ein Eichelhäher verkündete durch laute Schreie Zeldas Anwesenheit.
Als Erstes zog Zelda ihr Kleid und das Unterkleid aus. Für einen kurzen Augenblick dachte sie daran, noch ein letztes Bad im See zu nehmen. Doch sie scheute das Ufer des Verlangens, scheute die Erinnerung an die glücklichen Stunden, die sie hier mit Ian verlebt hatte.
Urplötzlich und mit der Gewalt eines Sommergewitters schoss die Wut auf ihn in Zelda hoch. Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden, ballte die Hände zu Fäusten und schrie ihren gesamten Zorn dem stillen Wald entgegen: »Oh, Ian Laverty! Wenn ich dich kriege … Du Schuft! Du elender, gemeiner, hinterhältiger, verlogener Schuft!!!«
Ihre wilde rote Mähne rutschte aus dem Haarband und flatterte wie ein Turnierbanner um ihren Kopf herum. Sie schrie sich all ihre Wut aus der Seele. »Ian Laverty! Sieh dich nur vor. Eine McLain belügt und betrügt man nicht ungestraft, weder eine Zelda noch eine Joan. Wenn ich dich kriege, werde ich dir die Faust in den Magen rammen, ich werde dich an den Haaren reißen, dich vors Schienbein treten, ich werde kratzen, spucken, werde dich beißen … «
Erschöpft hielt sie inne. Ein Lächeln erschien auf ihremGesicht. Sie richtete ihr Kleid, strich sich die Haare aus dem Gesicht, dann sah sie hoch, reckte unternehmungslustig das Kinn und klatschte leicht in die Hände.
»So«, sagte sie in die Stille des Waldes hinein. »Jetzt bin ich fertig mit dir, Ian Laverty, Schuft von Edinburgh. All meine Kraft werde ich von nun an aufwenden, um Joan wieder zu finden. Ich bin kein dummes Gänschen, das den lieben langen Tag nichts Besseres zu tun hat, als ins Kissen zu schluchzen, nur weil ihre Lippen die eines Halunken berührt haben.« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, wischte sich Zelda energisch über den Mund.
»Schluss jetzt!«, befahl sie sich selbst und kramte in ihren Satteltaschen.
Sie hatte vor, sich als Mann zu verkleiden. Eine allein reisende Frau war ein viel zu leichtes Opfer. Es wimmelte auf den Landstraßen von Tagedieben, Halsabschneidern, Halunken, Gauklern, fahrendem Volk, entlaufenen Söldnern und anderen Verbrechern.
Einem Mann, wirkte er nur ausreichend entschlossen, ging das üble Volk aus dem Weg. Und einem Mann, der einen Ring mit dem gräflichen Siegel mit der siebenzackigen Krone trug, so wie Zelda einen besaß, den ließ man am allerbesten ungeschoren, wollte man nicht der Rache seiner Familie anheim fallen.
Zelda kramte ein festes Tuch aus der Tasche, riss es in Streifen und wickelte sich diese um den Kopf, um ihr unvergleichlich weibliches Haar zu verbergen. Sie lief zum See, betrachtete sich darin und kicherte. Einmal hatte sie bei einem Besuch in Dundee einen Inder gesehen, der einen Turban auf dem Kopf trug. Nun, jetzt sah sie genau aus wie dieser Fremde. Sie holte ein Barett hervor, das sie ebenfalls unter den Sachen ihres Vaters aufgestöberthatte, und stülpte es über den umwickelten Kopf. Einige Male rückte sie es hin und her, dann nickte sie zufrieden.
Falls der Wind ihr das Barett vom Kopf blasen sollte, so konnte sie immer noch sagen, sie hätte eine Turnierverletzung. Ein Lanzenschlag, der ihr den Kopf verbeult hätte.
Aber müsste der Verband dann nicht blutig sein?
Zelda überlegte. Sie durfte keinen Fehler machen. Die kleinste Unachtsamkeit genügte, um ihre Verkleidung auffliegen zu lassen.
Also streifte sie ein wenig durch das Dickicht, sammelte einige rote Beeren und zerdrücke sie so auf dem Verband, dass Leichtgläubige diese Flecken für Blut halten könnten.
Dann zog sie erneut das Barett über den Verband, betrachtete sich im klaren Spiegel des Wassers und war zufrieden.
Nun verstaute sie Kleid und Unterkleid in einem ausgehöhlten Baum im Wald und verstopfte das Loch mit Moos, sodass sie, wenn sie Glück hatte, auf dem Rückweg nach Hause schnell wieder in ihre gewohnte Kluft springen konnte. Dann zog sie sich Walthers Beinkleider über. Natürlich rutschten die Dinger bei jeder Bewegung, doch Zelda hatte an alles gedacht. Sie kramte einen Kälberstrick aus der linken Satteltasche und befestigte ihn so um ihre Hüften, dass nun alles dort hielt, wo es halten sollte.
Sie zog sich ein Hemd ihres Vaters über, das zwar an den Schultern ebenfalls zu weit, an den Brüsten aber bedenklich eng war. Sie überlegte, dann riss sie weiteren Stoff in Streifen und umwickelte damit ihre Brüste so fest,
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