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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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aber mir fehlte die Geduld, eine passendere Gelegenheit abzuwarten.
    Kathi bedachte mich dann auch mit einem strafenden Blick. »Ganz sicher nicht. Nils mochte die schnelle Tour nicht und die schmutzigen Schuhe und verdreckten Hosenbeine hätten ihn wahnsinnig gemacht.«
    Das war nicht die Antwort, die ich erwartet hatte.
    Verdrossen beobachtete ich die Trauergäste, während der Pfarrer mit monotoner Stimme seinen Sermon herunterleierte. Uns gegenüber standen unverkennbar Nils’ Eltern, sie eine pummelige Mittvierzigerin im schwarzen Strickkleid unter dem Mantel und einem jungfernhaften Hut auf der frischen Dauerwelle, er hatte ein konturenloses Gesicht und sah aus, als hätte er immer noch nicht ganz begriffen, was geschehen war. Daneben wohl Familie, ältere Leute allesamt, und die Cervelatprominenz, die unauffällig für die anwesenden Fotografen Trauerposen einnahm. Mir fiel nichts Verdächtiges auf, da war keine mysteriöse Dame mit Schleier, wie sie in den schlechten Fernsehkrimis oft vorkam, kein reumütiger Mörder, der hinter einem Baumstamm versteckt die Zeremonie beobachtete.
    Der Pfarrer beendete seine Predigt und in dem gespannten Schweigen, das folgte, ließ Kathi unvermittelt meine Hand los und begab sich nach vorn, ans Kopfende des Grabes, wo ein wackeliges Rednerpult stand.
    Sie sagte nicht viel. Nur wie sehr er ihr fehlte, wie leer ihre Welt ohne ihn geworden sei und dass sie hoffte, dass er an dem Ort, an dem er jetzt war, das Glück finden würde, das ihm hier versagt geblieben war. Hinter mir schluchzten seine Freunde wiehernd auf und wedelten hektisch mit Taschentüchern vor ihren gepuderten Gesichtern, während Kathi von Nils’ Vater abgelöst wurde.
    Der wackere Mann verlor sich in seiner Rede, er kam vom Hundertsten ins Tausendste und die Prominenten begannen mit den Füßen zu scharren.
    Kathi war sofort von ihren Jungs umringt worden und damit ich nicht im Stehen einschlief, machte ich mir ein paar Gedanken zu meinen Fällen. Es kam wenig Erfreuliches dabei heraus. Irgendwie fand ich den berühmten roten Faden nicht, der die Morde an Said und Nils und den versuchten Mord an Stamenkovic verbunden hätte. Kevin ließ ich außen vor, ich hatte immer mehr den Eindruck, dass er ohnehin kein Teil der Mordserie war.
    Said und der Tennisspieler waren an jenem Abend im Park gewesen, nicht jedoch Nils. Said war vermutlich nach seinem Tod transportiert worden, Stamenkovic nachdem er narkotisiert worden war. Hatte der Täter bei Said ebenfalls Chloroform verwendet? Bei Said und Nils hatte ich lange Tobler als Mörder im Visier gehabt, nicht jedoch bei Marislav, denn in dem Fall fungierte ich selbst als Alibi für den Staatsanwalt. Und für die unheilvolle Salbe, die Nils auf den Viadukt und in den Tod getrieben hatte, waren Tollkirschen verwendet worden, eine einzelne Beere wurde auch am Fundort von Saids Leiche entdeckt.
    Wie es schien, stimmten immer nur die Details in jeweils zwei Fällen überein, nie in allen dreien. Es musste irgendwann einen Vorfall gegeben haben, der alle drei jungen Männer betroffen hatte, ein Ereignis, bei dem sie alle dabei gewesen waren. Denn im Umfeld dieses Vorkommnisses lag das Mordmotiv verborgen. Und nur dadurch fand ich zum Täter.
    Es war zum Verzweifeln. Vielleicht lag ich auch komplett falsch, die Fälle hatten überhaupt nichts miteinander zu tun, und meine überbordende Fantasie führte mich in die Irre. Mein Detektivgespür sagte mir jedoch das Gegenteil.
    Nils’ Vater hatte mittlerweile seine Rede beendet und begab sich an seinen Platz zurück, wo seine weinende Frau sich in heftiger Verzweiflung an seinen Arm klammerte.
    Der Pfarrer räusperte sich und leitete das Ende der Zeremonie mit dem liturgischen Satz »Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub« ein, wobei er drei Mal eine kleine Schaufel Erde auf den Sarg rieseln ließ. Die Trauergäste folgten seinem Beispiel. Kathi steckte ihre Nase tief in die Blüte der mitgebrachten Rose, dann beugte sie sich vor und ließ sie ins offene Grab fallen. Tränen flossen jetzt auch bei ihr und sie suchte in meiner Umarmung Trost. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sie sich von mir und lächelte mich tapfer an. Bestürzt starrte ich auf die Tätowierung unter ihrem Ohr.
    »Was ist?«, fragte sie besorgt, doch ich brachte kein Wort heraus.
    Während ich zum Wagen zurückrannte, rief ich José in der Redaktion des Gratisblattes an.
    »Du musst etwas für mich rausfinden!«, wies ich ihn atemlos an. »Zwei
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