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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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hysterischen Lachkrampf gekriegt. Mindestens.
    Schweißgebadet schreckte ich hoch. Nachdem ich um mich herum mein Schlafzimmer wiedererkannt hatte, blieb ich benommen liegen und starrte mit klopfendem Herzen an die Decke. Das helle Licht, das durch die Jalousien hereindrang, und die gedämpfte Stille im Quartier verrieten mir, dass es schon wieder geschneit haben musste. Dieser Winter nahm kein Ende.
    In Bruchstücken kehrte die Erinnerung an den verstörenden Traum zurück, der mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Mein Vater kam darin vor, er sah mitgenommen und irgendwie traurig aus. Ich begleitete ihn in eine Arztpraxis, wo er sich auf eine Bahre legen musste, während der Arzt mich hinausbat und mir mit ernster Miene die Krankenakte meines Vaters zeigte. Sie sah derjenigen Toblers täuschend ähnlich. Als er sie aufschlug, erkannte ich entsetzt die Porträtfotos von Said, Nils und Marislav. Wie auf der Datingseite bildeten sie eine Reihe auf blauem Hintergrund.
    Doch es war nicht nur dieser Traum, der mich geweckt hatte. Aus den Tiefen meiner Erinnerungen war eine Information hochgespült worden. Ich setzte mich auf und wischte mir den Schlaf aus dem Gesicht.
    Doch erst als ich unter der Dusche stand, fiel mir wieder ein, was es gewesen war.
    Richie stand vor der Notschlafstelle an der Rosengartenstrasse, einem petrolfarbenen Gebäude, zu dessen Eingang eine breite Rampe führte, und rauchte eine Zigarette, als ich mit meinem Käfer vorfuhr.
    »Steig ein!«, rief ich ihm durch das rasch heruntergekurbelte Fenster zu. Er blinzelte verwirrt, bis er mich endlich erkannte.
    »Soso, du! Morgen, morgen, hehe. Sie haben mir gesagt, dass du angerufen hast und mich sehen willst.« Er trat die Fluppe aus und trottete die Rampe herunter. »Zu einem kleinen Ausflug sag ich nie Nein!«
    Er wirkte munterer, als bei unserem letzten Treffen, was daran liegen mochte, dass er noch keine Zeit gehabt hatte, sich mit irgendwelchen Substanzen das Bewusstsein zuzuballern.
    »Wohin geht’s?«, fragte er, als er auf dem Beifahrersitz saß, und rieb sich unternehmungslustig die Hände. Ich fuhr vom Gehsteig hinunter und wendete den Wagen.
    »Erzähl mir von dieser Prügelei in der Bäckeranlage«, forderte ich Richie auf, als wir die steil abfallende Straße Richtung Industriequartier hinunterbrausten. Beiläufig hatte er am Freitag einen Überfall erwähnt, als ich ihn an der Dienerstrasse angehalten hatte. Nur hatte ich seinem wirren Gelaber da keine Bedeutung beigemessen, bis José gestern Nacht ebenfalls davon angefangen hatte. Doch erst vorhin unter der Dusche war mir der Gedanke gekommen, dass die beiden vielleicht dieselbe Schlägerei meinten.
    »Ach, soso, Prügelei, Prügelei …« Richies Stimme wurde immer leiser, während er sich zu erinnern versuchte. »Mhm, was war da? Du musst mir auf die Sprünge helfen.«
    »War im Sommer vorletztes Jahr. Du hattest es neulich erwähnt, als wir uns gesehen haben.«
    »Aha!« Er grinste dämlich, doch es war offensichtlich, dass er keinen Schimmer mehr hatte, was er mir erzählt hatte.
    Ich stöhnte ungeduldig. »Du hast gesagt, da wäre jemand involviert gewesen, den man kennt.«
    »Hä?«
    »Jemand aus dem Sportteil der Zeitung.«
    »Ach so, ja, ja, die Prügelei meinst du, sag das doch! Da war der Stamenkovic dabei. Hab ich gleich erkannt, lese ja immer nur den Sport, gell. Hat aber nicht viel abbekommen.«
    »Du warst mit ihm dort?«
    Richie lachte schrill. »Nein, ich bin ja nicht so einer.«
    »Was hast du dann in der Bäckeranlage gemacht?«
    »Im Sommer schlafe ich im Park, menno!«, rief er ungehalten, als hätte er das schon zigmal erwähnt und ich wäre nur zu schwer von Begriff.
    »Du wolltest also schlafen …«
    »Ich such mir immer eine Bank am Rand des Parks aus, gell. Gegen die, hm, Stauffacherstrasse, da ist es schön lauschig unter den Bäumen. Ja, ja, hin und wieder ein Tram, aber sonst ruhig. Ums Restaurant ist öfter mal was los, gell, und beim Pavillon ist nachts Remmidemmi.«
    Ich wusste, dass sich in lauen Nächten, wenn sich die Familien und Barbesucher verzogen hatten, im ehemaligen Musikpavillon Schwule trafen. Dass sich dann der Austausch nicht nur auf Telefonnummern beschränkte, verstand sich von selbst.
    »Was geschah in jener Nacht?«
    »Na, ich wollte schlafen, gell, und da ist plötzlich dieser Krach. Ich hopp und auf, und da sehe ich im Mondlicht diese drei Typen. Waren mit irgendwelchen Stangen oder so bewaffnet und haben die Schwuchteln verprügelt.
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