Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Fremdkörper für mich geworden war. Dank der pausenlosen Läufe kannte mein Körper nur noch ein Tempo: Dauerlauf. »Trainer«, sagte ich zu Fanz, »ich geh dann lieber noch mal ein paar Runden laufen.« Und was antwortete Fanz? »Uli, vorbildlich. Das ist die richtige Einstellung!« Der Mann hatte definitiv den falschen Beruf gewählt.
Trotz Fanz: Mir gefiel es in dieser Mannschaft. Dass es dennoch so schnell vorbei war in Hannover, war ausnahmsweise einmal nicht meine Schuld. Sieben Tage die Woche, vier Wochen lang hatte ich nun schon für meinen ersten Einsatz geschuftet. Die ersten beiden freien Tage nutzte ich, um Bekannte in Hamburg zu besuchen. Wir saßen gerade gemütlich beim Essen, als mein Handy klingelte, Hannovers Konditionstrainer hatte mir was zu sagen: »Uli, morgen früh um neun Uhr ist Training. Es geht wieder an den Maschsee.« »Tut mir leid, ich habe morgen noch frei und bin in Hamburg. Ist so mit dem Trainer und dem Präsidenten abgesprochen.« Was passierte? Kurz darauf rief mich der Präsident an, er bat mich inständig, trotz der Absprache beim morgendlichen Training zu erscheinen. Das sah ich nicht ein. Die Situation schaukelte sich hoch, eskalierte, bald holte ich meine Klamotten aus dem Präsidentenwohnsitz, der Bruch zwischen mir und dem Verein war vollzogen. Schade, dass die Trennung nicht sauber vollzogen wurde, sondern mit vollkommen unnötigen Nebengeräuschen. Am 26. Februar 1997 textete die Hamburger Morgenpost : »Uli Borowka hat endgültig ausgespielt. Ausschlaggebend war sein Auftritt beim Boxabend in Wandsbek. Dort hatte Borowka kräftig getankt, war dann einer Besucherin im Ibis-Hotel auf die Damentoilette gefolgt.« In hohem Bogen schmiss mich 96 raus. Wahrheit und Lüge: Ja, ich hatte »kräftig getankt«, nein, ich war natürlich nicht einer Besucherin auf die Toilette gefolgt. Schon gar nicht hatte ich sie bedrängt, wie andere Zeitungen schrieben. Folgendes war in Wandsbek passiert: Weil die Dopingkontrollen der Boxer auf dem Herrenklo stattfanden, mussten sämtliche Besucher ihre Notdurft auf der Damentoilette verrichten. Dafür hatte der Veranstalter extra zwei Türsteher abgestellt, die dafür sorgten, dass Männer und Frauen getrennt den Raum betreten konnten. Selbst wenn ich also eine der Damen auf dem Klo hätte bedrängen wollen, hätte ich keine Möglichkeit dazu gehabt. Weiß der Teufel, warum die Medien diese Geschichte so verdrehten. Doch ist der Ruf erst ruiniert … Jetzt war ich nicht nur Borowka der Säufer und Borowka der Frauenschläger, sondern auch noch Borowka der Stelzbock. Der nächste Nackenschlag, die nächste Abfuhr, der nächste Rauswurf. So langsam musste ich mich offenbar an dieses traurige Dasein gewöhnen.
Es klingt schlimm, aber mit dieser Existenz hatte ich mich irgendwie schon abgefunden. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Selbst wenn er in der Scheiße steckt. Die narkotisierende Wirkung des Alkohols wird ihr Übriges dazu beigetragen haben. Was ich nicht akzeptieren konnte und wollte, war mein distanziertes Verhältnis zu meinen Kindern. Es war nicht so, dass mir Carmen den Kontakt zu Irina und Tomek verweigerte, aber natürlich sah ich die beiden viel zu selten. Die paar Stunden, die uns bei gemeinsamen Treffen blieben, verbrachten wir auf dem Spielplatz oder bei Spaziergängen im Wald. So nah mit meinem Fehlverhalten konfrontiert, plagten mich dabei jedes Mal starke Gewissensbisse. Die Kinder waren noch zu klein, um ihnen zu erklären, warum Papa nicht in ihrer Nähe war und sich so häufig mit Mama stritt. Warum die anderen Kinder in der Schule mit dem Finger auf sie zeigten, wenn mal wieder eine negative Schlagzeile in der Zeitung auftauchte. Ich konnte meinen »Job« als Vater einfach nicht mehr anständig erledigen. Dafür war ich inzwischen auch viel zu sehr mit mir und meinem Schicksal beschäftigt. Häufig passierte es allerdings auch, dass ich zu einem verabredeten Termin vor der Haustür meiner Frau auftauchte und sie samt den Kindern spurlos verschwunden war. Carmen wusste ganz genau, wie sie mich zur Weißglut treiben konnte.
Anfang des Jahres 1997 überschattete ein Vorfall all die tagtäglichen Probleme und Zwistigkeiten. Selbst die Sauferei geriet für ein paar Tage komplett in den Hintergrund: Irina musste schwerkrank ins Krankenhaus gebracht werden. Eine Monate zuvor erfolgte Blinddarm-OP hatte Verwachsungen in ihrem Körper zur Folge gehabt, die bereits Teile des Darms hatten absterben lassen. Es war
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