Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
geworden. Den größten Teil meines Ersparten hatte Carmen erhalten beziehungsweise meine Kinder. Mehrere zehntausend Mark hatte ich im Laufe der Jahre auf Sparkonten für Irina und Tomek eingezahlt, der Rest meines Gehalts war für Fixkosten wie die drei Autos, das Haus und unsere Urlaube draufgegangen. Meine Beteiligung an drei Autohäusern war im Laufe der vergangenen Monate ebenfalls zerbröselt, ein Freund, dem ich mein Geld anvertraut hatte, hinterging mich böse. Merke: Wenn du eh schon am Boden liegst, bekommst du mit ziemlicher Sicherheit auch noch einen Tritt in die Magengrube. Zusätzlich hatte die Versicherung meinen Antrag auf Sportinvalidität abgelehnt, und so stand ich im Frühjahr 1998 da: mehr oder weniger mittellos, ohne geregeltes Einkommen, psychisch ein Wrack. Für einige Wochen kam ich bei meinen Eltern unter, doch sie hatten gar keine Chance zu erkennen, wie schlecht es ihrem Sohn eigentlich ging. Schon seit Jahren belog ich meine Mutter und meinen Vater nach Strich und Faden, was meine private Situation anbelangte. Ich verwendete sehr viel Energie darauf, meinen Eltern das Gefühl zu vermitteln, dass ich lediglich in einer kleinen Krise steckte, die ich schon bald überwinden würde.
Mein einst großer Bekanntenkreis war auf einige wenige Freunde zusammengeschrumpft. Meine ehemaligen Mitspieler Oliver Reck und Günter Hermann sah ich in jenen Monaten so gut wie gar nicht, selbst meinem engsten Freund in dieser Zeit, Balli aus Berlin, ging ich aus dem Weg. Tief in meinem Inneren wusste ich wohl, wie erbärmlich meine Situation war, zugeben wollte ich das selbstverständlich nicht. Ein Uli Borowka brachte seine Probleme schon selbst in Ordnung! Doch Geld herbeizaubern, das konnte auch kein Uli Borowka, und wenn er noch so ein toller Hecht war. Also fing ich an, mir Geld zu leihen. Waren es anfangs noch kleine Kleckerbeträge, die ich versprach, bald wieder zurückzugeben (womit selbst die Geldgeber nicht rechneten), lieh ich mir nun auch größere Summen. Ich sank so tief, dass ich meinen ehemaligen Mitspieler Mario Basler auf dem Handy anrief und ihm meine Sorgen auf die Mailbox quatschte. Ob er mir nicht mit 10000 DM aushelfen könne. Der alten Zeiten wegen. Mario hat sich nie bei mir zurückgemeldet. Ich bin ihm nicht böse, dass er mir kein Geld geliehen hat, aber einen kurzen Rückruf hätte ich in meiner Situation gut gebrauchen können.
Mein Dasein als Schuldner brachte mich bald in große Gefahr. Von einem Bekannten lieh ich mir mehrere hundert Mark und versprach, ihm sein Geld innerhalb von vier Wochen zurückzuzahlen. Was ich, wie so häufig, nicht tat. Als der vereinbarte Zahltag längst überfällig war, fiel mir nichts Besseres ein, als mich in meiner Wohnung – nach der kurzen Zeit bei meinen Eltern hatte ich mich in einem Ein-Zimmer-Loch in der Nähe von Rheydt einquartiert – vor ihm zu verstecken. Drei Tage und Nächte ging ich nicht aus dem Haus, ließ die Jalousien geschlossen und traute mich nicht, das Licht anzumachen.
Am vierten Tag trat mein Bekannter die Tür ein. Ein Hüne, der nun ziemlich wütend war. Er packte mich, schleuderte mich an die Wand und zog mich an den Ohren nach oben. »Wo ist mein verdammtes Geld, Borowka?« Ich hatte keinen einzigen Pfennig mehr. Er verpasste mir ein paar Ohrfeigen, bis ich aus der Nase blutete, doch so besoffen wie ich war, bekam ich die Schläge schon gar nicht mehr mit. Blutend ließ er mich auf meiner schmutzigen Matratze liegen.
Mein Alkoholkonsum hatte einen bis dahin nicht gekanntes Level erreicht. Innerhalb von nur wenigen Wochen brach alles in mir zusammen, selbst der letzte Rest von Stolz wurde in einem Meer von Bier, Schnaps und Kotze aufgeweicht. Mein Tagesinhalt bestand nur noch darin, aufzuwachen und irgendwie wieder auf den nötigen Pegel zu kommen. Zum Frühstück kippte ich die Reste vom Vorabend zusammen, um dieses furchtbare Gesöff dann in schnellen Zügen zu leeren. Das Licht in meinem Appartement war meistens aus, nur der Fernseher sorgte in Dauerschleife für ein kaltes Leuchten. Ich verließ die Wohnung nur selten, und wenn, dann schleppte ich mich in die nächste Kneipe und soff mich voll. Mein immer noch vorhandener Promistatus half zumindest dabei, dass mich andere Schluckspechte auf ein Bier einluden oder die Wirte erstaunliche Geduld mit meinen unbezahlten Deckeln hatten.
Aus dem gefeierten Fußballstar, dem liebenden Familienvater, dem Eisenfuß, war ein Schwerstalkoholiker geworden. Ein Niemand.
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