Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Neukumpel von Gracianos Bruder Ralf natürlich mit dabei sein. Schon am Vormittag schlug ich in St. Pauli auf, gemeinsam mit Balli erkundete ich die Kneipenszene auf der Reeperbahn. Entsprechend angeschlagen tauchte ich am Abend bei der Veranstaltung auf. Ralf hatte uns Karten für die erste Reihe besorgt, dort verfolgte ich den Kampf und goss mir weiterhin fleißig einen hinter die Binde. Als der Fight dann in einem Skandal endete und Flaschen, Stühle und Becher in den Ring flogen, machte ich mich schnell aus dem Staub. Im VIP-Bereich soff ich gnadenlos weiter, schließlich torkelte ich mit Schlagseite durch die Gegend und machte mich wieder einmal komplett zum Affen. Natürlich erfuhren auch die Tasmania-Verantwortlichen davon, sie erteilten mir eine Abmahnung, die eigentlich einem Rauswurf glich. Nach dem Tod von Geldgeber Oppermann, nach meiner frühen Verletzung und den ständigen Saufereien wollten mich die Berliner so schnell es ging wieder loswerden. Wer konnte es ihnen verübeln? Statt die Mannschaft zu verstärken und eine verantwortungsvolle Aufgabe im Verein zu übernehmen – was ich ohne den Alkohol sicherlich geschafft hätte –, wurde ich zu einer Belastung, die dem Club mehr schadete als half.
Kein Wunder, dass die Tasmanen heilfroh waren, als zu Beginn des neuen Jahres ein Angebot von Hannover 96 reinflatterte. Die junge Mannschaft von Reinhold Fanz stand nach der Hinrunde in der Regionalliga Nord auf Platz eins, ich sollte mithelfen, den Aufstieg in die Zweite Bundesliga klarzumachen. Eine neue Chance, ein neuer Verein, ein nächster Versuch des Neuanfangs – was hatte ich schon zu verlieren? Inzwischen konnte ich ja schon froh sein, wenn sich überhaupt noch ein Verein für mich interessierte. Denn natürlich war ich körperlich nicht so auf der Höhe, wie sich das für einen Spitzensportler gehörte. In Mönchengladbach und Bremen war ich stets durch meine beeindruckende Physis aufgefallen, doch nun spürte ich längst die Folgen der ständigen Besäufnisse und des unsteten Lebens.
Im Haus des damaligen 96-Präsidenten bezog ich Anfang Januar 1997 ein Gästezimmer. Zum Glück hatte mein Gastgeber ein weiches Bett für mich parat – Schlaf hatte ich den wenigen Wochen als Spieler von 96 bitter nötig. Es klingt verrückt, aber in Hannover hätte ich tatsächlich beinahe die Kurve gekriegt, dem Alkohol und all seinen schlimmen Nebenwirkungen vielleicht abgeschworen. Nicht weil ich das so wollte, ich fand einfach nicht mehr die Zeit und Energie für die Sauferei.
Nie habe ich so hart trainiert wie unter Reinhold Fanz. Und das soll kein Kompliment sein. Der Mann verstand von Fußball offenbar so viel wie ich vom Eisstockschießen. In der Vorbereitung auf die Rückrunde ließ uns Fanz Runde um Runde um den Maschsee in Hannover laufen, jeden Tag mussten wir uns die Laufschuhe anziehen und Kondition bolzen. Das mag für Abstiegskandidaten eine gute Methode sein, aber diese Mannschaft stand damals an der Tabellenspitze und hatte Sahnefußballer wie Gerald Asamoah, Fabian Ernst, Otto Addo oder Christoph Babbatz in den eigenen Reihen. Fanz schien das nicht zu interessieren, er formte täglich weiter an seiner Marathonstaffel. So etwas hatte ich in meiner langen Karriere noch nicht erlebt. Wochenlang bekamen wir, die doch eigentlich mit Fußball Geld verdienten, keinen einzigen Ball zu Gesicht. Stattdessen: Maschsee, Maschsee, Maschsee. »25 Minuten pro Runde sind eine gute Zeit«, erklärte Fanz. Zu mir sagte er: »Wenn du unter 26 Minuten läufst, lasse ich dich auch spielen!« Ein einziges Mal schaffte ich eine Runde unter 27 Minuten, und selbst diese Laufleistung war schon abenteuerlich. Wenn wir uns morgens zum Training versammelten, hatten die jungen Spieler Ringe unter den Augen und eingefallene Wangenknochen, so fertig waren sie vom Drill des Trainers. Bei einer Blutuntersuchung stellten die Mannschaftsärzte bei mir sogar Eisenmangel fest. Eisenmangel! Als ich Fanz darauf ansprach, antwortete er nur: »Dann musst du eben mal ein paar Eisentabletten schlucken.« So langsam kam mir der Verdacht, dass er uns alle kaputttrainieren wollte.
Andererseits hielt mich diese Trainingsarbeit allerdings vom Alkohol fern. Wenn ich abends nach Hause kam, wollte ich nur noch schlafen. Ein besserer Fußballer wurde ich dadurch aber nicht – im Gegenteil. Als wir nach Wochen der Rennerei endlich wieder am Ball trainieren durften, musste ich schockiert feststellen, dass das Spielgerät zu einem
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