Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
auf die Piste ging, blieb kein Auge trocken. Vor einem Trainingsspiel nahm er mich zur Seite: »Uli, ich muss am Wochenende Tore schießen. Also halt dich heute mal ein wenig zurück, wenn wir in die Zweikämpfe gehen. Dann nehme ich dich auch mal mit »Zum Alfred« und gebe dir einen aus.« »Zum Alfred« hieß die Stammkneipe der Borussia-Profis am Alten Markt, dem Kneipenviertel in Mönchengladbach. Wahnsinn. Wenn schon dieser ausgebuffte Stürmer vor mir Respekt hatte, musste ich ja inzwischen ein ziemlich toller Hecht sein. Ich ließ Harald in Ruhe und wenige Tage später stellte er, schick gekleidet mit Anzug und Krawatte, einen Whiskey-Cola vor meine Nase. Jetzt durfte ich mich sogar schon mit einem der Routiniers ins Gladbacher Nachtleben stürzen. Ein erhebendes Gefühl.
Da ich nun anerkanntes Mitglied der Mannschaft war, wurde ich auch schnell in Interna eingeweiht, die sonst die Kabine nicht verlassen dürfen. So rieten mir gleich mehrere Mitspieler, einen großen Bogen um einen gewissen Mitspieler zu machen, der damals ebenfalls für die Borussia spielte. Er hatte, so erfuhr ich, innerhalb eines Teils der Mannschaft den Spitznamen »der Blaue« oder »der Schaum«, eine abschätzige Bezeichnung für jemanden, der nicht mit offenen Karte spielte. »Das ist ein hinterfotziger Typ, dem darfst du nicht über den Weg trauen«, steckten mir die Kollegen. Ich nahm mich in Acht.
Eine etwas kuriose Szene erlebte ich ein paar Wochen später. Der Anstand verbietet es, an dieser Stelle Namen zu nennen, aber einer der »Alten« nahm mich nach dem Training zur Seite und fragte: »Uli, du hast doch sicherlich heute Abend Lust auf ein schönes großes Steak?« Ich antwortete: »Sicher, wann wollen wir uns treffen?«
Nun, das Steak musste ich alleine essen. Ich bekam 50 DM und durfte mich satt futtern, besagter Kollege bekam im Gegenzug den Schlüssel zu meiner 33-Quadratmeter-Wohnung und drei Stunden Zeit für ein unbehelligtes Techtelmechtel mit seiner Geliebten. Hatte ich darauf gehofft, wenigstens mein Bett anschließend in einem aufgeräumten Zustand vorzufinden, wurde ich enttäuscht.
Frauen spielten auch in meinem Leben eine immer größere Rolle. Die Mädchen in der Disco wussten schon bald sehr wohl, wer ich war: ein Fußballspieler, wenn auch keiner aus der ersten Reihe, aber immerhin ein Fußballspieler. Diese Mini-Prominenz verhalf mir zu einigen Flirts, nichts Ernstes, aber ich hatte meinen Spaß. Für meine Beziehung zu Simone, dem Mädchen aus Iserlohn, war das natürlich Gift. Wenige Monate nach meinem Umzug nach Mönchengladbach trennten wir uns.
Regelmäßig besuchten mich meine Eltern in der neuen Heimat. Alle zwei Wochen, wenn in der Wirtschaft Ruhetag war, setzten sie sich ins Auto und fuhren die knapp 140 Kilometer nach Mönchengladbach. Mein Vater begleitete mich zum Training, wobei er sich stets über einen kurzen Schnack mit Jupp Heynckes freute, meine Mutter schrubbte die Wohnung ihres Sohnes auf Hochglanz. Zweimal in der Woche rief ich in Oese durch und erzählte meinen Eltern von den neuesten Trainingseindrücken, prominenten Gegenspielern oder dem nächsten Pflichtspiel. Weil ich damals allerdings noch kein eigenes Telefon besaß, musste ich 200 Meter bis zur nächsten Telefonzelle laufen. Wochenlang war ich nun schon zum gleichen öffentlichen Apparat spaziert, da fiel es mir beim Telefonieren wie Schuppen von den Augen: Die vielen stark geschminkten Frauen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, das waren Prostituierte! Und ich Unschuld vom Lande hatte mich immer gewundert, worauf all die so aufreizend gekleideten Damen denn wohl warten würden. Das war der Straßenstrich von Mönchengladbach.
Ich sprach also gerade mit meinen Eltern, als ich einen eleganten schwarzen Wagen bei den Frauen halten sah. Ich schaute genauer hin: Das Auto kannte ich doch! Es gehörte einem Mitspieler! Der wollte sicherlich nur nach dem Weg fragen, anders kann ich mir das heute nicht erklären …
Überhaupt, was für Typen wir in unserer Mannschaft hatten! Wolfram Wuttke zum Beispiel: Wir kannten uns ja bereits von der für ihn ziemlich schmerzhaften Begegnung auf Schalke, nun spielten wir beide im selben Verein. Unterschiedlicher als Wolfram und ich konnten Fußballer nicht sein. Während ich meine offensichtlichen technischen Mängel mit einer Extraportion Fleiß und Ehrgeiz ausgleichen musste, konnte sich das Wunderkind Wuttke getrost ein paar Disziplinlosigkeiten erlauben. Eines unserer
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