Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
diesem wichtigen Spiel von Anfang an auf den Platz zu schicken. So wurde ich unfreiwillig Beobachter eines der besten Spiele in der Geschichte des Pokals. 1:0 Matthäus, 1:1 Norbert Meier, 2:1 Ringels, 3:1 Rahn, 3:2 Benno Möhlmann, 3:3 Wolfgang Sidka, 3:4 Uwe Reinders, 4:4 Hans-Jörg Criens.
Kurios die Szene in der 64. Minute. Hinter dem Tor von Uli Sude flog etwas auf den Rasen und nebelte den Strafraum ein. Eine Rauchbombe, nicht unbedingt angenehm für uns Spieler, aber Mitte der Achtziger keine Seltenheit in deutschen Stadien. Nur eine Rauchbombe? Von der Bank aus sah ich meine Mitspieler aus dem dichten Nebel angelaufen kommen, Uli Sude und Uwe Rahn, hart gesottene Burschen, hatten Tränen in den Augen. Mein erster Gedanke war: Was gibt es denn da zu heulen? Bis auch ich begriff, dass da tatsächlich jemand eine Tränengasgranate aufs Feld geschmissen hatte! Nach einer kurzen Unterbrechung konnte das Spiel fortgesetzt werden. Kurz vor dem Schlusspfiff hatte mich Jupp Heynckes endlich von der Leine gelassen, und weil in der regulären Spielzeit kein Sieger gefunden worden war, mussten wir in die Verlängerung. Welch ein Spiel!
107. Minute. Diese Szene, hundertmal in meinem Kopf wiederholt: Kurz hinter der Mittellinie bekomme ich auf der linken Seite den Ball, laufe einige Meter und schlage den Ball in die Mitte. Hans-Jörg Criens, der großartige Criens, weiß genau, welche Flugbahn meine Flanke nehmen wird, er rast dem Ball entgegen, ein Zucken mit dem Kopf und schon steht es 5:4 für uns. Die Entscheidung!
13 Minuten später hatten wir es geschafft. Werder geschlagen und das Pokalfinale erreicht. Jubelnd fielen wir uns in die Arme und mussten doch wenig später einen kleinen Schock verdauen: Den Weg vom Rasen in unsere Kabine zeichnete eine Blutspur, als wenn ein Metzger sein frisch geschlachtetes Schwein durch die Katakomben gezogen hätte. Folgendes war passiert: Kurz vor dem Schlusspfiff war der Ball noch einmal in unseren Strafraum geflogen, Torwart Uli Sude, unser baumlanger Stürmer Uwe Rahn und Bremens Riese Frank Neubarth waren gemeinsam in die Höhe gesprungen. Uli hatte nach dem Ball fausten wollen, dabei allerdings Uwes Kopf getroffen, der gegen den Schädel vom langen Neubarth und von da zurück in Ulis Gesicht geprallt war. Ergebnis: Trümmerbruch der Nase für Uwe Rahn, schlimme Platzwunden für Uli Sude und Kopfschmerzen für Frank Neubarth. Als wir die besudelte Kabine erreichten, war unser Vereinsarzt Dr. Alfred Gerhards, ein Künstler mit Nadel und Faden, bereits dabei, das verwundete Duo zu versorgen.
Was macht man nach so einem Spiel? Sich von den Kollegen verabschieden und einfach nach Hause fahren? Ging nicht, zu viel Adrenalin, zu viel Fußball im Kopf. Die Nacht zum Tage machen? Vier Tage später mussten wir bereits gegen Borussia Dortmund im Kampf um die Meisterschaft antreten, an die große Party war also nicht zu denken. Wie so häufig in diesen Gladbacher Jahren zogen wir gemeinsam spät am Abend noch zu unserem Stammlokal in der Gladbacher Innenstadt, einem Argentinier, der uns auch noch um Mitternacht ein leckeres Essen zauberte. Zwischen Steak und Altbier sprachen wir über das Spiel, die Tränengasgranate, die Verlängerung … Momente des Zusammenseins, Momente, die ich heute vermisse. Später, im Bett, lief wieder einmal mein Kopfkino auf Hochtouren. Erst nach dem Abspann fiel ich in den Schlaf.
Immerhin brauchte ich seit Anfang des Jahres 1984 nicht mehr alleine einzuschlafen. In einer Disco hatte ich sie kennengelernt und mich bald schwer verliebt: Carmen. Dass diese Beziehung später so brutal in die Brüche gehen sollte, konnte ich in diesen ersten rosa-roten Monaten natürlich nicht ahnen.
Im Herbst 1985 suche ich ein wenig Entspannung beim Waldspaziergang und treffe diese schöne Unbekannte. Im Ernst: Die Dame vor mir ist meine spätere Frau Carmen, die ich Anfang des Jahres 1984 kennengelernt hatte. © imago/Passage
Nun stand ich also im ersten Pokalfinale meines Lebens und auch in der Meisterschaft waren wir weiter vorne mit dabei. Eine unnötige 1:2-Niederlage am 29. Spieltag gegen den Hamburger SV, einen der größten Konkurrenten im Rennen um den Titel, hatte uns zwar die kurzzeitig erkämpfte Tabellenführung gekostet, doch die Chance auf die Meisterschale war weiterhin gegeben. Müßig darüber zu streiten, warum es am Ende doch nur zu Rang drei reichte. War es die Niederlage gegen den HSV? Die 1:4-Klatsche am 31. Spieltag gegen Borussia
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