Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
spielten mit der gesamten Mannschaft. Natürlich mit Strichliste, die sorgfältig gepflegt und ausgewertet wurde. Von den regelmäßigen Besuchen auf der Minigolfbahn profitiere ich als leidenschaftlicher Golfer noch heute. Dieses Ritual ließen wir uns nie nehmen, ob es nun in Strömen regnete, oder wir erst mit Schaufeln die Schneemassen von der Bahn räumen mussten. Am frühen Abend versammelten wir uns zum Abendessen im Parkhotel, und wer dann noch wollte, hatte bis halb elf Ausgang, um in Mönchengladbach ins Kino zu gehen. Der frühe Zapfenstreich provozierte jedes Mal eine ziemlich riskante Raserei auf der Autobahn, schließlich endeten die meisten Filme erst um kurz nach zehn. Auf den Schock ging es meistens noch zu Mutter Marie, der guten Seele und Hotelchefin, die uns selbst zu so später Stunde in der Hotelküche dicke Stullen schmierte, die anschließend mit einem Gläschen Aquavit und einer Flasche Bier heruntergespült wurden. Wer für das Spiel am kommenden Tag auf Nummer sicher gehen wollte, mixte sich noch eine ganz spezielle Energiebombe: Eine Flasche Rotwein, verrührt mit zehn Eiern und Traubenzucker. Wir Fußballer hielten das damals für ein unschlagbares Gesöff, der Rotwein-Eier-Zucker-Mix war quasi unser ganz eigener Zaubertrank.
Irgendwann war auch für uns Schlafenszeit. Die nächtliche Ruhe vor dem Spieltag hatte in all den Jahren eine Modenschau der ganz besonderen Art zur Folge. Amateurmodel Uli Borowka präsentierte unter dem Gejohle der Mitspieler den vermutlich hässlichsten Schlafanzug, der jemals von einem Profifußballer getragen wurde. Ein fesches Frotteehöschen kombiniert mit einem orangenem Oberteil. Dass ich dieses furchtbare Teil trug, war noch so ein Ritual in unserer Mannschaft. Und als ich 1987 zu Werder Bremen wechselte, nagelte mein Kumpel Bernd Krauss den Schlafanzug an die Wand in meinem Hotelzimmer. Vielleicht hängt er da immer noch – als abschreckendes Beispiel für all die Borussen, die nach mir die Villa Kunterbunt im Süchtelner Wald bezogen …
Trotz Minigolf, trotz Mutter Marie, trotz Schlafanzug – in der Saison 1982/83 war einfach der Wurm drin. In der Liga kämpften wir gegen den Abstieg, und im DFB-Pokal zerstörte ausgerechnet ein Zweitligist aus Köln unsere Träume vom Finale. Nach Siegen gegen den VfB Wissen, Union Solingen und Waldhof Mannheim trafen wir im Viertelfinale auf Fortuna Köln. Gegen die Mannschaft von Trainer Martin Luppen saß ich zunächst nur auf der Bank, doch als uns Frank Mill mit zwei Toren in Führung geschossen hatte, schickte mich Jupp Heynckes nach 50 Minuten für Armin Veh aufs Feld, um den Sieg über die Zeit zu retten. Ich hatte einen fürchterlichen Tag erwischt, verschuldete das 1:2 durch Gerd Zimmermann und musste mit ansehen, wie Bernd Grabosch nach 73 Minuten auch noch der Ausgleich gelang. Unentschieden, das hatte 1983 ein Wiederholungsspiel zur Folge. Am 8. März trafen wir uns wieder, diesmal stand ich in der Startformation. Es half alles nichts: Fortunas Sturmhüne Dieter Schatzschneider, der nach dieser Saison zum frisch gebackenen Deutschen Meister nach Hamburg wechseln sollte, schenkte uns zwei Tore ein, der Treffer von Lothar Matthäus war zu wenig. Wir schieden aus. Tagelang machte ich mir schlimme Vorwürfe, schließlich war der lange Schatzschneider mein Gegenspieler gewesen.
Im Pokal gescheitert, in der Bundesliga immer am Rand des Abgrunds, diese Saison ging uns allen an die Nerven. Es war mein Glück, als junger Spieler neben so erfahrenen Kollegen wie Winnie Hannes oder Bernd Schmider zu spielen. Die Routiniers gaben mir Halt. Auf dem Platz und auch abseits des Rasens. Vor allem Bernd Schmider hatte für mich immer ein offenes Ohr, seine ruhige und ausgeglichene Art ließ mich trotz der sportlich angespannten Lage nicht in Panik verfallen. Auch das ist ein Geheimnis von gut funktionierenden Mannschaften: erfahrene Spieler mit Charakter, die ihr Wissen zum Wohl der Gruppe mit den internen Konkurrenten teilen. Unser Pech war es, dass ausgerechnet diese Eckpfeiler in der Saison 1982/83 regelmäßig wegbrachen. Die Ausfälle von Libero Hans-Günter Bruns und Kapitän Winnie Hannes, die beide verletzungsbedingt wochenlang nicht zur Verfügung standen, machten sich bemerkbar. Zwar schossen wir in dieser Spielzeit 64 Tore, kassierten allerdings auch 63 Gegentreffer. Langweilig wurde es unseren Fans jedenfalls nie. Auch ich verletzte mich Ende April schwer und fiel für die letzten fünf Saisonspiele
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