Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
vergehen, ehe ich am 14. Spieltag gegen Borussia Dortmund mein erstes Spiel über 90 Minuten absolvieren durfte. Und obwohl wir mit 2:1 gewannen, ließ mich Heynckes schon in der nächsten Partie wieder auf der Bank, beim 3:1 gegen Bayer Leverkusen am 16. Spieltag wurde ich lediglich eine Viertelstunde vor Schluss eingewechselt. 107 Spielminuten, so lange dauerte meine ganz persönliche Hinrunde.
Ich nutzte die Winterpause, um mich endlich wieder ins Team zurückzukämpfen. Derweil tat sich einiges in meinem Kollegenkreis. Einer der Neulinge hieß Ewald Lienen, von seinem Müsli-Wahn habe ich bereits erzählt. Nach zwei Jahren in Bielefeld war Ewald zu Beginn der Saison nach Mönchengladbach zurückgekehrt. Ehrlich gesagt, wir konnten uns nicht wirklich leiden, dafür waren wir zu verschieden. Der Alt-Hippie und der Junge vom Dorf, das konnte nicht gut gehen. Ewald tat auch einiges dafür, um seinem Image als Querkopf gerecht zu werden. Wenn wir mit der Mannschaft im Parkhotel zu Abend aßen und uns die dampfende Suppe serviert wurde, spielte sich regelmäßig folgendes Schauspiel ab: Lienen rief Rudi, den Kellner, und maulte: »Da sind Fettaugen in meiner Suppe, die will ich nicht!« Rudi nahm die Suppe, drehte eine Runde durch die Küche und stellte den Teller wieder ab. »So ist es besser«, rief Ewald und fing endlich an, die Suppe zu löffeln. Überflüssig zu erwähnen, dass Rudi natürlich nicht einmal versucht hatte, die Fettaugen abzuschöpfen. Unverständlich fand ich auch Ewalds Verhalten in Bezug auf Autogrammkarten. Für die kleinen Jungs, die uns vor oder nach dem Training um eine Unterschrift baten, gab es nichts Schöneres, als mit einem Autogramm ihrer Helden wieder nach Hause zu kommen. Nicht mit Ewald. Lang und breit versuchte er den Kindern zu erklären, dass die Unterschrift eines einzelnen Individuums nicht mit seinem moralischen Verständnis vereinbar sei und er deshalb kein Autogramm geben könne. Bis er mit seinen Erläuterungen fertig war, hatten die Kleinen längst Tränen in den Augen.
Die wichtigste Gladbacher Personalie in dieser Saison war ohne Frage allerdings eine andere: Lothar Matthäus, unser Superstar, mein Freund, befand sich auf Abschiedstournee. Nach fünf Jahren bei Borussia Mönchengladbach würde Lothar zu den Bayern wechseln, das erfuhren wir im Frühjahr 1984. Was für ein unnötiger Wechsel! Nicht für Lothar, der den nächsten Schritt in seiner beginnenden Weltkarriere tat, sondern für Borussia Mönchengladbach. Der Club verlor seinen besten Spieler, weil es die Vereinsführung einfach versäumt hatte, sich rechtzeitig mit Matthäus an einen Tisch zu setzen. Ich kannte Lothar inzwischen recht gut, natürlich sprachen wir auch über seine Zukunft. Er fühlte sich pudelwohl in Mönchengladbach, er hatte nicht vor, den Verein schon jetzt zu verlassen. Auch Geld spielte keine so wichtige Rolle, wie das viele vielleicht vermuten würden. Lothar verdiente in Mönchengladbach gut, ein neuer Vertrag mit leicht verbesserten Konditionen hätte ihn wahrscheinlich zum Bleiben bewegt. Doch dafür war die Borussia nicht geschickt genug. Ein Beispiel für das diplomatische Unvermögen: An Lothars 23. Geburtstag schickte Bayern-Manager Uli Hoeneß eine Magnum-Flasche Sekt und einen Strauß Blumen ins Haus Matthäus. Die Verantwortlichen von Borussia Mönchengladbach vergaßen sogar, ihrem Mittelfeldregisseur zu gratulieren. Als das Angebot aus München kam, schlug er ein. Ein Nackenschlag für uns alle. Und wer konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, was die Saison noch so alles für uns bereithielt.
Lothar wollte seinen Abschied vergolden, das merkten wir, das musste auch jeder Zuschauer merken. In der großartigen Saison 1983/84 spielte er für Borussia Mönchengladbach eine überragende Rolle. Wir fegten mit solch einem kraftvollen und gradlinigen Fußball durch die Bundesliga, dass es einfach Spaß machte, Teil dieser Mannschaft zu sein. Nach der Winterpause konnte auch ich wieder ins Geschehen eingreifen. Die Verletzung war auskuriert, ich hatte Vertrauen in mein Knie, die Leidenszeit war überstanden. So stark wie wir in der Liga spielten, präsentierten wir uns auch im DFB-Pokal. Fortuna Köln, Arminia Bielefeld, SpVgg Fürth und Hannover 96 waren keine große Hürde. Nun wartete im Halbfinale mit Werder Bremen der erste richtig schwere Brocken auf uns. Noch einmal musste ich auf der Ersatzbank Platz nehmen, Jupp Heynckes traute sich nicht, den frisch genesenen Jüngling in
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