Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Dortmund? Den neuen Deutschen Meister vom VfB Stuttgart hatten wir jedenfalls in der Rückrunde mit 2:1 bezwingen können, doch trotz der Stuttgarter 0:1-Niederlage gegen den HSV (der schlussendlich Zweiter wurde) war es der VfB, der nach 34 Spieltagen die Sektkorken knallen ließ. Punktgleich mit uns und dem HSV, allerdings sieben Tore besser als der schärfste Verfolger, wurden die Schwaben Deutscher Fußballmeister. Auf Rang vier landeten übrigens die Bayern – mit nur einem Punkt weniger.
Ein bitteres Saisonfinale, doch zur großen Staatstrauer blieb uns keine Zeit. Fünf Tage nach dem letzten Punktspiel (und gut zwei Wochen nach meinem ersten Bundesligator gegen Bayer Uerdingen) zogen wir Seite an Seite mit unserem Endspielgegner Bayern München ins Frankfurter Waldstadion ein. 61000 Zuschauer begrüßten uns, ein sagenhaftes Gefühl, bei so einer Partie auf dem Rasen zu stehen! Mir schwitzten die Hände, ich hatte am ganzen Körper eine Gänsehaut – doch der schwierigste Teil meiner Arbeit lag noch vor mir. Mein Gegenspieler, Karl-Heinz Rummenigge. 1984 war er in der Bundesliga längst eine Legende, nach dieser Saison sollte er für zehn Millionen Mark zu Inter Mailand wechseln. Ihn hatte Jupp Heynckes mir zugeteilt. Vor dem Spiel schaute ich ihm tief in die Augen, dieser Weltklassemann sollte gleich wissen, dass ich vielleicht Respekt vor dem Menschen Rummenigge, nicht aber vor dem Sportler Rummenigge hatte.
Unser Trumpf hieß Lothar Matthäus. Das Pokalfinale gegen die Bayern sollte sein letztes Spiel für Borussia Mönchengladbach sein, ausgerechnet. Wenige Tage vor dem großen Tag hatten wir noch gemeinsam in seiner Wohnung gesessen und über das Endspiel gesprochen. »Uli«, hatte Lothar gesagt, »ich will mich hier mit einem Titel verabschieden!« Natürlich wollte er das – warum auch nicht? Alle Befürchtungen, Matthäus werde im Spiel gegen seinen neuen Arbeitgeber mit angezogener Handbremse spielen, empfanden wir Mitspieler als geradezu lächerlich.
Schiedsrichter Volker Roth pfiff das Spiel an. Gladbach gegen Bayern. Matthäus gegen die Zweifler. Ich gegen Karl-Heinz Rummenigge. Es gibt ein Foto von diesem Spiel, vermutlich zeigt es eine meiner bekanntesten Grätschen. Hübsch geschmückt mit dem damals noch todschicken Schnauzbärtchen unter der Nase nehme ich der Bayern-Legende den Ball ab und, wie es sich gehört, gebe ihm dabei noch einen satten Pferdekuss mit auf den Weg. Was musste ich mir nach dieser Aktion von Rummenigge anhören! Aber die Beschimpfungen nahm ich gerne in Kauf, denn danach hatte ich ihn voll im Griff. Lag es am verhinderten Goalgetter, dass die Bayern so schwerfällig ins Spiel kamen? Erst nach der 1:0-Führung durch Frank Mill in der 33. Minute kam die rote Lawine ins Rollen. Jetzt mussten wir in der Defensive Schwerstarbeit verrichten. Nach knapp einer Stunde ging Bayern-Trainer Udo Lattek volles Risiko und brachte mit Dieter Hoeneß einen zusätzlichen Stürmer. Lattek hätte auch einen Bulldozer aufs Feld schicken können, es hätte keinen Unterschied gemacht. Alle Verteidiger, die jemals Bekanntschaft mit dem Kraftpaket Hoeneß gemacht haben, werden wissen, wovon ich spreche. Noch heute höre ich die Körper von Winnie Hannes und Dieter Hoeneß aneinanderklatschen, wenn wieder ein hoher Ball in unseren Strafraum getreten wurde. Und doch war es nicht Dieter Hoeneß, der schließlich doch noch für die Bayern traf, sondern Wolfgang Dremmler. Einen Abpraller vom Pfosten haute Dremmler durch die Beine von Hans-Günter Bruns ins Netz. Acht Minuten vor dem Schlusspfiff. Welch ein Tiefschlag.
Verlängerung. Kurze Pause. Beine durchschütteln, trinken, Wasser ins Gesicht klatschen. Das Brüllen der Fans, die Stimmung im Stadion, die letzten Anweisungen des Trainers? Hörst du nicht mehr. Da ist nur noch ein Rauschen und dein Herzschlag, der dir sagt: Es geht weiter. Zweimal 15 Minuten Verlängerung in meinem ersten großen Finale, etwas weniger Dramatik wäre mir auch lieb gewesen. Und es war ja noch nicht vorbei. Weil auch in den zusätzlichen 30 Minuten kein Tor fiel, musste die Partie im Elfmeterschießen entschieden werden. Ein Szenario, dass wir vor dem Spiel zwar durchgegangen waren, ja sogar die möglichen Schützen hatte Jupp Heynckes ausgewählt, aber als es nun hart auf hart kam, waren von den fünf Schützen plötzlich nur noch drei in der Lage, an den Punkt zu gehen. Ich sah Jupp auf mich zukommen, sein fragender Blick und der Satz: »Kannst du
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