Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Rasierer in der Hand rannte ich hinter ihnen her, aber ich hatte es hier ja mit Profisportlern zu tun: Ich erwischte nicht einen einzigen. Immerhin erbarmten sich dann noch Günter Hermann, Manni Bockenfeld und Oliver Reck, sich die Haare scheeren zu lassen, allerdings lediglich raspelkurz. Der einzige Idiot, der am nächsten Morgen mit einer Fleischmütze aufwachte, war ich.
Noch leicht angeschossen und mit frischer Fleischmütze, dafür aber auch als frisch gebackener Europapokalsieger 1992! Das erste Foto nach der eingelösten Wette: Dieter Eilts hatte mir in der Nacht zuvor die Haare abrasiert. © Uli Borowka privat
Eine Szene ist mir in Erinnerung geblieben, die unsere damalige Bremer Mannschaft ziemlich gut charakterisiert. Es muss in den frühen Morgenstunden gewesen sein, als uns plötzlich einfiel, dass man uns vor der Saison doch eigentlich eine Siegprämie für den möglichen Erfolg im Europapokal versprochen hatte. Der Kapitän sollte das mal schnell mit dem Manager klären. »Willi«, rief Mirko Votava, »was ist mit der Prämie?« Der Manager druckste herum: »Darüber können wir uns ja in Bremen unterhalten …« Wir lachten uns nur kaputt und hoben weiter fleißig die Gläser. Das liebe Geld war uns in dieser Nacht so was von egal! Wir waren Europapokalsieger, nur das zählte! Und eben diese Einstellung, die nur Profimannschaften haben können, in denen die Chemie stimmt, machte Werder Bremen unter Otto Rehhagel aus. Wir waren nicht unbedingt elf Freunde, aber auf dem Platz ein verschworener Haufen, der sich zwar gerne gut bezahlen ließ, aber vor allem für solch altmodische Werte wie Ruhm und Ehre spielte.
Die Saison 1991/92 war damit für uns gelaufen. In der Liga krebsten wir im tabellarischen Niemandsland, im DFB-Pokal waren wir ausnahmsweise einmal nicht ins Finale gekommen, sondern im Halbfinale an Zweitligist Hannover 96 gescheitert. Sagen wir, wie es war: Für uns ging es um nichts mehr. Also taten wir das, was jede Mannschaft an unserer Stelle getan hätte: Wir schmissen eine Party nach der anderen. Drei Tage nach dem Triumph von Lissabon standen wir schon wieder auf dem Platz, am vorletzten Spieltag der Saison empfing uns Eintracht Frankfurt. Während wir noch immer einen im Kahn hatten und kollektiv alkoholisiert zum Waldstadion fuhren, ging es für die Eintracht um nichts Geringeres als die Deutsche Meisterschaft. Was für eine historische Chance! Die Frankfurter mussten nur noch gegen eine angetrunkene Bremer Mannschaft gewinnen, die ohnehin nicht vorhatte, sich an diesem Spieltag ein Bein auszureißen. Und um es den Hessen noch einfacher zu machen, gaben wir ihnen unmittelbar vor dem Spiel einen zusätzlichen Wink mit dem Zaunpfahl. »Ey Andy«, rief ich im Tunnel zu meinem Spezi Andreas Möller rüber, »macht mal locker, heute gewinnt ihr sowieso. Wir werden euch jedenfalls nicht daran hindern …« Unser Plan: Sollten die Frankfurter an diesem Tag gewinnen und damit vorzeitig die Meisterschaft einfahren, wären sicherlich noch die einen oder anderen Kaltgetränke für uns drin. Die Party wollten wir uns nicht entgehen lassen. Außerdem hatten wir zu den Frankfurter Konkurrenten aus Stuttgart und Dortmund ohnehin nicht das beste Verhältnis; wenn wir mithelfen konnten, diesen Clubs die Meisterschaft zu versauen, bitte, da waren wir gerne dabei.
Es kam natürlich alles anders. Schon im Spielertunnel hatten wir die Aufregung von Möller, Binz, Bein und Co. förmlich riechen können, der saure Geruch von Angstschweiß lag in der Luft. Daran hatten auch unsere warmen Worte nichts ändern können. Statt den Zuschauern und uns ein nettes Spiel zu liefern und ganz entspannt den Sieg einzufahren, traten die Frankfurter auf uns ein, als hätte man ihnen für jeden blauen Fleck eine Prämie versprochen. Nach der dritten harten Grätsche von Libero Dietmar Roth wurde es uns zu bunt, wenn die Frankfurter nicht Meister werden wollten, dann konnten wir auch nichts daran ändern. Ich selbst versuchte es bis zum Schluss, wahrscheinlich wollte der Alkoholiker in mir es nicht wahrhaben, auf einen guten Schluck verzichten zu müssen. Einmal trat ich Tony Yeboah ziemlich übel im Strafraum um, doch der fällige Elfmeterpfiff blieb aus. Wenige Minuten später trat ich ein sagenhaftes Luftloch, erneut in unserem Strafraum, doch auch diese »zufällige« Vorlage wollte Yeboah nicht nutzen. Eine Woche später verlor Frankfurt gegen Rostock und rutschte runter auf Platz drei. Was für ein
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