Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
auch Legat konnte nicht verhindern, dass wir eine ziemlich schwache Bundesligasaison spielten. Der Deutsche Meister von 1988 beendete die Spielzeit auf Platz neun, die schlechteste Platzierung, seit ich 1987 zum SV Werder gewechselt war. In anderen Vereinen wäre bei solch schlechten Ergebnissen wahrscheinlich die Hölle los gewesen, doch in Bremen zog das Gewitter weitestgehend an uns vorbei. Selbst als die Zuschauer im Weserstadion unruhig wurden und mit »Uwe, Uwe«-Rufen die Verpflichtung des Ex-Bremers Uwe Reinders als Nachfolger für Otto Rehhagel forderten, kam im inneren Kreis der Mannschaft keine Unruhe auf. Otto, der Psychologe, hatte uns Spieler längst zu treuen Gefolgsleuten gemacht. Was er sagte, war Gesetz für uns – selbst wenn wir nur in den mittleren Regionen der Liga rumkrebsten. Otto selbst war in diesen Jahren im Verein mächtiger denn je, eine schlechte Saison konnte ihm nicht viel anhaben. Außerdem hatten wir 1991/92 noch ein ganz anderes Eisen im Feuer. Den Europapokal der Pokalsieger.
Zur Erinnerung: Das entscheidende Tor auf dem Weg nach Europa hatte ja ich im Finale gegen Köln geschossen. Weil Illgners Fingerspitzen meinen Elfmeter knapp verpasst hatten, waren wir nun hier, im Europapokal der Pokalsieger.
Die erste Runde gegen den rumänischen Vertreter vom FC Bacau überstanden wir im Schongang. 6:0, 5:0, Mund abputzen und weiter. Wenige Wochen nach diesem Spiel versammelte sich irgendwo in Bremen an einem Esszimmertisch eine illustre Runde. Gemeinsam mit Manni Bockenfeld, Oliver Reck, Günter Hermann und unseren Frauen machte ich einen waghalsigen Vorschlag. »Wenn wir den Pokal gewinnen, dann schneiden wir uns alle eine Glatze«, rief ich. Die anwesenden Kerle fanden das super, die Frauen schauten besorgt. Aber der Wetteinsatz hatte von nun an Bestand. Für einen Erfolg im Europapokal konnte man schon mal ein paar Haare lassen.
Die Sorgenfalten der Spielerfrauen wurden immer größer, denn auch das Achtelfinale gegen Ferencvaros Budapest konnten wir für uns entscheiden, wenn auch äußerst knapp mit 3:2 und 1:0. Jetzt wartete im Viertelfinale Galatasaray Istanbul auf uns.
Das Hinspiel in Bremen begann katastrophal: Wynton Rufer verletzte sich nach 30 Minuten und musste durch Stefan Kohn ersetzt werden. Nur drei Minuten später erzielte Roman Kosecki das 1:0 für die Türken. Wir ackerten, wir grätschten und rannten, schossen auf das Tor von Hayrettin. Doch es dauerte bis zur 79. Minute, ehe dem Rufer-Ersatz Kohn das 1:1 gelang. Und fünf Minuten vor dem Abpfiff war es Marinus Bester, der das Tor zum 2:1-Endstand schoss. Kohn und Bester, beide waren von Otto Rehhagel eingewechselt worden. Für den Moment hatten Ottos Kritiker keine Argumente mehr.
Zwei Wochen später in Istanbul. Mit unseren Frauen an Bord flogen wir aus dem sonnigen Bremen ins verschneite Istanbul. Es war Mitte März und in der Türkei schneite es wie in Oberbayern. Damit hatte niemand gerechnet, schon gar nicht unsere Frauen, die sich für den Europapokalabend extra aufgebrezelt hatten und in Stöckelschuhen durch den Schneematsch von Istanbul stolperten. Einen Tag vor dem Spiel versuchten wir uns im Stadion ein paar Bälle zuzuschieben – keine Chance. Der überraschende Schneesturm hatte die Fußballplätze in der türkischen Metropole in eiskalte Sumpflandschaften verwandelt. Bei solchen Verhältnissen konnte kein Europapokalspiel angepfiffen werden. Mit dieser Überzeugung kehrten wir ins Hotel zurück und harrten der Dinge. Stundenlang saßen wir nach dem Abendessen gemeinsam auf unseren Zimmern und spielten Karten, alle halbe Stunde lupfte jemand die Gardinen, Istanbul versank mehr und mehr unter einer Schneedecke.
An ruhigen Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken, denn unsere türkischen Gastgeber zogen alle Register: Mitten in der Nacht klingelte uns der Feueralarm aus dem Schlaf, in Bademänteln versammelten wir uns im Foyer, nur um dann zu erfahren, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte. Und wiederum zwei Stunden später stand ich erneut senkrecht in meinem Bett, irgendjemand hatte eine Glastür auf dem Hotelflur zerschlagen.
Am nächsten Tag das gleiche Bild: Schnee, wohin man nur schaute, der Wintereinbruch hatte Istanbul fest im Griff. Noch immer wollten wir nicht glauben, an diesem Tag ein offizielles Fußballspiel bestreiten zu müssen, doch das Schiedsrichterteam um den Dänen Gitte Nielsen belehrte uns eines Besseren. Obwohl selbst der Unparteiische nach ein paar Schritten
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